interview
Der Zerspanungstechniker im Wandel: Aus- und Weiterbildung mit der Walter AG
Der Fachkräftemangel beschäftigt uns schon sehr lange. Doch immer weniger junge Menschen streben nach einer technischen Ausbildung im Bereich der Zerspanungstechnik. Was also tun? Kann die zunehmende Digitalisierung hier unterstützen und das Berufsbild wieder attraktiver gestalten? Müssen sich Ausbildungskonzepte ändern oder gar komplett neu überdacht werden? Wie können digitale Tools wie beispielsweise Walter GPS Fachkräften unter die Arme greifen? Im Technology Center der Walter AG in Tübingen konnten wir uns darüber mit Thomas Vollmer, zuständig für technische Trainings, und Andreas Greiner, Vice President und Head of HR, ausgiebig unterhalten.
Robert Fraunberger sprach mit Andreas Greiner und Thomas Vollmer (v.l.n.r.) über das Berufsbild des Zerspanungstechnikers und dessen Zukunft. (Bilder x-technik)
Über die Gesprächspartner:
Thomas Vollmer begann als Maschinenbauingenieur und verbrachte sein Berufsleben in der Arbeitsvorbereitung und in der Produktion des Druckmaschinenbaus. Seit zwölf Jahren ist er bei der Walter AG tätig und gibt sein gesammeltes Fachwissen in technischen Trainings weiter, sowohl an die eigenen Mitarbeiter als auch an die Kunden im deutschsprachigen Bereich. Trainingsschwerpunkte sind die wertschöpfenden Zerspanungsprozesse und das Erkennen von Kostentreibern und Leistungslücken im operativen Bereich von Unternehmen.
Andreas Greiner ist seit März 2023 Vice President und Head of HR bei Walter und verantwortet den gesamten Personalbereich der Walter Gruppe. Er ist bereits über 15 Jahre in verschiedenen HR-Positionen für den Konzern tätig.
Herr Greiner, die Problematik des Fachkräftemangels ist allgemein bekannt und obwohl der Zerspanungstechniker ein interessantes und abwechslungsreiches Berufsbild ist, mangelt es vor allem am Fachkräftenachwuchs. Wie geht die Walter AG damit um?
Andreas Greiner: Wir als Walter versuchen, schon frühzeitig junge Menschen für uns zu begeistern, indem wir etwa unsere Werkzeuge und Fertigungslösungen Schulen und Ausbildungsstätten zur Verfügung stellen. Zudem bieten wir unterschiedliche Praktika an und arbeiten intensiv daran, uns in der gesamten Zerspanungsbranche noch bekannter zu machen.
Man muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen und sie auch weiter qualifizieren. Das ist eher ein Marathon als ein Sprint. Der Weg der Digitalisierung und der Umgang mit den digitalen Medien, der ist gesetzt, dem können wir uns nicht verschließen. Thomas Vollmer, zuständig für technische Trainings bei der Walter AG
Herr Vollmer, Sie sind ja schon lange mit der Zerspanung verbunden. Wie nehmen Sie die Entwicklung bei den jungen Menschen wahr? Was hat sich gegenüber früher verändert?
Thomas Vollmer: Es hat sich schon sehr viel verändert. Die Generation derer, die vor 1995 geboren wurde, ist in einer analogen Welt groß geworden. Die Generation Z danach ist großteils in einer digitalen Welt aufgewachsen und bewegt sich virtuos in den Social-Media-Kanälen. Sie sind bestens miteinander vernetzt, holen sich ihre Informationen aus digitalen Plattformen, haben ganz andere Präferenzen sowie Anforderungen an den Arbeitsmarkt und ein klares Bild davon, was sie machen wollen. Flexibilität, die Work-Life-Balance und natürlich auch eine berufliche Karriere sind wichtige Faktoren.
Ich denke, unser Bildungssystem bietet viele Wege für Weiterbildungen und Qualifikationen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass junge Menschen das tun, was ihnen Spaß macht. Und die Zerspanungstechnik ist und bleibt ein sicheres Standbein. Andreas Greiner, Vice President und Head of Human Resources bei der Walter AG
Was muss sich also ändern, damit sich die jungen Menschen wieder mehr für das Thema Zerspanung begeistern?
Thomas Vollmer: Im Bereich der Ausbildungen sehe ich nicht unbedingt ein Problem. Gerade im DACH-Raum verfügen wir über sehr differenzierte Ausbildungssysteme – von den berufsbildenden Schulen über die Fach- und Fachhochschulen bis hin zur universitären Ausbildung in den technischen Bereichen. Das duale Ausbildungssystem ermöglicht den jungen Menschen eine sehr gute praktische Facharbeiterausbildung – das hat sich über viele Jahre bewährt. Zudem bestehen natürlich noch weitere Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs, z. B. eine weitere Qualifikation als Meister. Es gibt viele weitere Karrieremöglichkeiten.
Ein Problem sehe ich viel eher im Image des Berufsbildes. Der Zerspanungstechniker wirkt auf junge Menschen anscheinend nicht „cool“ genug. Das hängt mit Klischees zusammen, z. B. der Aussicht, dass man mit einem höheren Bildungsabschluss ein besseres Gehalt, Karrierechancen und auch gesellschaftlich mehr Anerkennung erhält. Dies sind Faktoren, die dazu führen, dass sich Jugendliche eher wenig für handwerkliche Berufe, oder für die Facharbeit interessieren. Hier muss die Aufklärung verbessert werden.
Die Trainings bei Walter werden als mehrteiliges Programm angeboten und basieren auf digitalen Angeboten.
Welche Personengruppen oder welche Ausbildungsgruppen sucht ihr in der Walter AG konkret?
Andreas Greiner: Wir suchen letztendlich Mitarbeiter, die vor allem Erfahrung im Zerspanungsbereich mitbringen, z. B. durch eine Ausbildung als Zerspanungstechniker, idealerweise mit gesammelter Berufserfahrung. Sie sollten aber neben dem technischen Know-how auch Sozial- und Methodenkompetenz mitbringen, weil beides heutzutage zusammenspielt, um letztlich erfolgreich zu sein. Darauf legen wir sehr viel Wert.
Für Thomas Vollmer ist vor allem wichtig, junge Menschen für den Beruf als Zerspanungstechniker zu begeistern und ihnen Weiterbildungsmöglichkeiten aufzuzeigen sowie mit Klischees aufzuräumen.
Was muss getan werden, damit der Zerspanungstechniker nicht ausstirbt? Welche Konzepte sind hier notwendig?
Ich denke, dass gerade in den Bereichen Automatisierung und Digitalisierung bei unseren Kunden viel passiert und daher wird auch dementsprechendes Know-how der Facharbeiter benötigt. Tätigkeiten, bei denen ausschließlich an der Werkzeugmaschine gearbeitet wird, werden eher weniger werden. Es wird einen Wechsel geben hin zu mehr Prozessüberwachung und einem Gesamtverständnis vom kompletten Fertigungsprozess. Damit wird das Berufsbild sicherlich nochmals massiv aufgewertet und hoffentlich folglich noch attraktiver.
Andreas Greiner betont, dass neben dem technischen Know-how auch die sozialen Kompetenzen für den Umgang mit Kunden von großer Bedeutung sind.
Werden somit Ausbildungskonzepte notwendig, um den jungen Menschen dieses Know-how auch frühzeitig mitzugeben?
Thomas Vollmer: Absolut, diese müssen natürlich in Prozesse eingreifen können. In 10 bis 15 Jahren werden Maschinen wahrscheinlich weitgehend selbstlernend sein, sich auch selbst optimieren und enger miteinander vernetzt sein. Die Prozesse werden mehr oder weniger automatisiert ablaufen und dem Menschen kommt eher eine überwachende Tätigkeit zu. Bei Störungen müssen wir aber nach wie vor in die Prozesse eingreifen können. Hier werden kognitive Fähigkeiten gefordert, um mit den richtigen Maßnahmen eine hohe Produktivität zu gewährleisten.
Das hat natürlich eine Veränderung des Ausbildungskonzepts und der Lehrpläne zur Folge, um den Anforderungen der sich verändernden Industrie und des technologischen Wandels gerecht zu werden. All das berücksichtigen wir bereits in unseren Trainings.
Im Technology Center der Walter AG in Tübingen steht auch die Digitalisierung im Mittelpunkt.
Stichwort: Trainings. Sie machen das mittlerweile seit zwölf Jahren. Haben sich die Trainings verändert?
Thomas Vollmer: Ja absolut. Wir haben bspw. seit zwei Jahren unsere Trainings auf digital umgestellt und verwenden ausschließlich iPads. Alle Handouts und alle Übungen sind in digitaler Form vorhanden. Zu den gebotenen digitalen Möglichkeiten gehören auch die Walter Apps, die wir unseren Kunden auf der Walter Homepage zur Verfügung stellen. Diese sind auf den Tablets vorinstalliert, mit ihnen werden Zerspanungslösungen erarbeitet. Somit wird der Umgang mit diesen Medien erlernt und kann in der Praxis angewendet werden. Diese Apps sind geräteunabhängig und funktionieren auch auf einem normalen Rechner.
Das Walter Technology Center wurde 2016 erbaut und bietet auf 5.000 m² und vier Etagen eine Fabrik der Zukunft.
Wie schauen die Trainingsangebote konkret aus?
Unsere Standardtrainings bieten wir als mehrteiliges Programm an. Zuerst werden die Basics erlernt oder vertieft. Das heißt: Grundlagen in der Zerspanung – also Drehen, Fräsen, Bohren und Gewinden, aber auch ein Grundverständnis über Werk- und Schneidstoffe wird vermittelt, damit man die Wirkmechanismen kennt. Facharbeiter haben mit Prozessen zu tun und müssen auch im Störungsfall eingreifen können. Beispielsweise wenn eine Wendeschneidplatte bricht, sollten sie wissen, was die Ursache dafür ist. Anschließend wird das angeeignete Wissen in die Praxis transferiert. Wir sehen uns Bauteile an, wählen Werkzeuge aus, begutachten den Zerspanungsprozess und testen diese hier bei uns im Technology Center.
Dann gibt es noch die individuellen Trainings, die je nach Kundenbedürfnissen abgestimmt werden. Hierfür besprechen wir mit den Kunden die genauen Anforderungen und führen die Trainings in Tübingen oder direkt vor Ort durch. Dort beschäftigen wir uns teilweise mit komplexeren Fragestellungen, die über den reinen Zerspanungsprozess hinausgehen und dabei betrachten wir auch die davor oder nachgelagerten Prozesse.
Wird sich durch die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung also das Berufsbild des Zerspanungstechnikers verändern und auch wertiger sein in Zukunft?
Andreas Greiner: Ja, dem kann ich nur zustimmen. Ich denke, dass wir generell das Aufgabenfeld des Zerspanungstechnikers ausweiten. Das eine sind die technischen Grundlagen, das Know-how, das Fachwissen, das vorhanden sein muss. Das andere ist der Umgang mit unseren digitalen Tools und Werkzeugen, aber auch die soziale Kompetenz. Wie kann ich dem Kunden zuhören? Kann ich auf ihn eingehen? Bin ich bereit, Dinge auch noch mal rückgängig zu machen, wieder neu aufzubauen, um die beste Lösung beim Kunden zu kreieren? Und letztendlich auch zu verstehen, was der gesamte Prozess ist? Das Anforderungsbild für einen Zerspanungstechniker ist weitaus vielfältiger, als wir denken. Ich schätze, dass sich in den nächsten 15 Jahren auch ein spielerischerer Umgang mit den digitalen Medien und digitalen Tools ergibt, welchen die Generation Z und folgend mitbringt.
Also haben die Unternehmen einen Vorteil, die jetzt schon den Weg der Digitalisierung einschlagen?
Thomas Vollmer: Auf jeden Fall. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen und sie auch weiter qualifizieren. Das ist eher ein Marathon als ein Sprint. Es dauert seine Zeit, das Bewusstsein in einem Unternehmen zu schaffen. Aber der Weg der Digitalisierung und der Umgang mit den digitalen Medien, der ist gesetzt, dem können wir uns nicht verschließen.
Was würden Sie also jungen Menschen, die vor einer Berufsentscheidung stehen, raten?
Andreas Greiner: Ich würde sagen, nicht verzagen und sich nicht nur auf eine Sache konzentrieren. Ich denke, unser Bildungssystem bietet viele Wege für Weiterbildungen und Qualifikationen. Aus meiner Sicht ist es zudem wichtig, dass die jungen Leute das machen, was ihnen Spaß macht und nicht nur den einen Weg einschlagen, der vielleicht in einer Sackgasse endet.
Thomas Vollmer: Man darf sich auch nicht zu sehr auf die Noten fokussieren. Selbst die besten Noten bedeuten nicht, dass jemand erfolgreich sein wird. Ich sag immer „Können setzt Wollen voraus“. In der Zerspanung und dem Umfeld haben wir es eher mit praktischen Themen und Problemen zu tun. Daher braucht jemand der im operativen Bereich tätig ist, praktische Fähigkeiten und Erfahrungen. Diejenigen die sich dieser Herausforderung stellen, bietet die Zerspanungsbranche viele Chancen, auch die Möglichkeit zur Selbstständigkeit.
Das Berufsbild des Zerspaners scheint also für die Zukunft gesichert?
Absolut. Alle Produkte, die wir herstellen, müssen auch wirtschaftlich erschwinglich bleiben und irgendwie industriell gefertigt werden. Viele dieser Produkte müssen aufgrund ihrer benötigten Genauigkeit und Funktion mechanisch bearbeitet werden.
Eins ist ganz klar: Wir erleben gerade einen strukturellen Wandel, beispielsweise den Transformationsprozess hin zur Elektromobilität. Bestimmte Bauteile gibt es beim Elektroauto nicht mehr. Andere Komponenten und Werkstoffe werden in den Vordergrund treten, wie z. B. Aluminium. Gerade der Leichtbau wird einen immer höheren Stellenwert bekommen. Ebenso muss der eine oder andere Substitutionseffekt durch neue Technologien beachtet werden – Beispiel Additive Fertigung. Hier finden Veränderungen z. b. beim Prototypenbau oder bei Kleinserien statt. Und dann ganz klar der digitale Wandel. Das heißt, das Berufsbild als solches wird sich wandeln. Um es plakativ auszudrücken: Die Arbeit wandert von den Händen noch mehr in Richtung Kopf. Das beschreibt den zukünftigen Zerspanungsmechaniker ganz gut, denke ich. Er wird eher zum Manager der Anlage, kümmert sich um die Prozesse und weniger um die heutigen Tätigkeiten.
Aber ein guter Zerspaner wird auch zukünftig gefordert sein, weiterhin Prozesse zu optimieren, oder?
Es gibt immer einen Unterschied zwischen Planung und Realität. Auch die Möglichkeit der Simulation muss beachtet werden. Dazu brauchen wir Daten und daraus bilden wir Digitale Zwillinge der Fertigungsanlage. Idealerweise wird alles im Vorhinein simuliert bzw. optimiert. Es gibt immer irgendwelche Unwägbarkeiten, die man nicht vorhersehen kann. Und dann sind die kognitiven Fähigkeiten und praktischen Erfahrungen von uns Menschen gefordert, um diese Prozesse zum Laufen zu bringen.
Warum sollte also ein junger Mensch in das Thema Zerspanung bzw. Maschinenbau einsteigen?
Andreas Greiner: Also ich denke, zum einen wird etwas geschaffen. Das Ergebnis ist sichtbar. Zum anderen gibt es all die digitalen Tools, die Unterstützungsmittel und Medien, die das Thema auch so spannend machen. Diese Hilfsmittel werden auch zukünftig den Zerspanungstechniker nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Ich finde, es handelt sich um ein sehr spannendes Aufgabenfeld: die Problemlösung beim Kunden mit den modernen Medien, mit Digitalisierung und dem Basiswissen der Zerspanung. Es ist und bleibt spannend.
Es kann sich also jeder bei der Walter AG bewerben, der diese Richtung einschlagen möchte?
Natürlich und sehr gerne. Vor allem ist in einem internationalen Konzern wie Walter auch sehr spannend in Teams zu arbeiten, die im globalen Kontext stehen. Wir arbeiten auch an internationalen Projekten und da ist es notwendig, teils vor Ort zu sein. Es ist auf eine positive Art herausfordernd, mit unterschiedlichen Kompetenzen, unterschiedlichen Kolleginnen und Kollegen, Ansätzen und Denkweisen zu arbeiten, um letztendlich die beste Lösung für unsere Kunden zu finden.
Abschließend lässt sich also sagen: Junge Menschen sollen Zerspanungstechniker werden, weil es spannend und zukunftsträchtig ist. Demnach brauchen wir uns um die Zukunft keine Sorgen zu machen?
Thomas Vollmer: Diesen Beruf zu wählen ist eine großartige Chance für alle, die sich für Technik interessieren. Zudem wünsche ich mir, dass noch mehr Frauen die Chancen und Möglichkeiten unserer Branche erkennen. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit erforderlich, denn das würde letztlich auch beim Fachkräftemangel helfen.
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