Digitalisierung ist keine Frage des Wollens mehr

Vor ein paar Jahren stellte sich so manches Unternehmen im Zusammenhang mit dem Thema Digitalisierung vielleicht noch die Frage: Hype oder Notwendigkeit? Mittlerweile ist allen klar: Ganz ohne konsequente Betriebsdatenerfassung und Echtzeit-Transparenz wird es in Zukunft wohl nicht mehr gehen. Grund genug für den Fachverlag x-technik, die österreichische Fertigungsindustrie zum Thema Smarte Zerspanung zu befragen: welche digitalen Tools werden in heimischen Betrieben bereits eifrigst genutzt und wo gibt es eher noch Bedenken? Von Sandra Winter, x-technik

Der Grundtenor unserer Umfrage war klar: Digitalisierung ja, aber viele Unternehmen stehen da absolut noch am Beginn des Prozesses. (Bild: Sandvik Coromant)

Der Grundtenor unserer Umfrage war klar: Digitalisierung ja, aber viele Unternehmen stehen da absolut noch am Beginn des Prozesses. (Bild: Sandvik Coromant)

Laut dem VDMA IT-Report 2018-2020 formulieren immer mehr Maschinenbauer eine Digitalisierungsstrategie für ihr Unternehmen. Im letzten Jahr taten dies bereits 40 Prozent der befragten Teilnehmer. Manufacturing Execution Systems (MES), Lösungen für das Qualitätsmanagement sowie Lösungen zum überbetrieblichen Datenaustausch (EDI) mit Lieferanten und Kunden stehen dabei besonders häufig auf dem Investitionsplan. „Speziell beim Daten- und Informationsfluss hat die Digitalisierung einen hohen Stellenwert“, bestätigt auch Roland Haas, Geschäftsführer der Framag Industrieanlagenbau GmbH. Die Vernetzung von Maschinen sei bei Framag aktuell zwar kein Ziel, die Modernisierung der Software an bzw. „rund um“ die Maschinen aber sehr wohl. Intensiv genutzt werden vom Frankenburger Maschinenbauer u. a. die Informationen, die die Enterprise-Resource-Planning-Software bereithält. „Unser ERP-Tool hat eine einfache, gute Auswertefunktion“, freut sich Roland Haas über „korrekte Rückmeldungen“, die den Nutzern des Systems einen besseren Überblick über das Gesamtgeschehen verschaffen.

Eine einfache Zugriffsmöglichkeit auf alle produktionsrelevanten Daten für die Mitarbeiter und mehr Transparenz in der Halle – „ich möchte wissen, was wo läuft“ – ist auch für Roman Gradwohl, Geschäftsführer der Schittl GmbH, besonders wichtig. Die Produktionsplanung bzw. -überwachung sowie die Nachkalkulation erfolgen beim Deutsch Kaltenbrunner Lohnfertiger bereits mit Unterstützung digitaler Tools. „Und auch Analysen werden nach Bedarf durchgeführt“, beantwortet Roman Gradwohl die Frage nach dem „digitalen Status quo“ in der Fertigung.

Von der Nutzung Smarter Tools wie die einer Betriebsdatenerfassung in Echtzeit erhoffen sich viele Zerspanungsbetriebe nicht nur Aufschlüsse über die eigene Fertigung, sondern auch eine Erhöhung der Produktivität. (Bild: Stiwa)

Von der Nutzung Smarter Tools wie die einer Betriebsdatenerfassung in Echtzeit erhoffen sich viele Zerspanungsbetriebe nicht nur Aufschlüsse über die eigene Fertigung, sondern auch eine Erhöhung der Produktivität. (Bild: Stiwa)

Schrittweise Umsetzung

Digitalisierung passiert nicht von heute auf morgen. Vielmehr ist es ein evolutionärer Anpassungsprozess, der kontinuierlich voranschreitet. Dabei hat jedes Unternehmen sein eigenes Tempo. Bei der GBM-Kunststofftechnik & Formenbau GmbH beispielsweise sind bereits alle Produktionsanlagen seit Ende 2017 vollständig vernetzt, während bei der Otto Bock Healthcare Products GmbH zurzeit vieles noch in Planung bzw. in einem frühen Umsetzungsstadium ist. Dass das Thema Digitalisierung heutzutage einen sehr hohen Stellenwert in der Fertigung hat – darüber zeigte man sich aber einig. Für Markus Meister, Prokurist bei der WIHO Hofbauer GmbH, ist die Zuhilfenahme digitaler Tools vor allem bei einer Grob- und Feinplanung kaum mehr wegzudenken. Wobei beim Schlierbacher Spezialisten für Werkzeug- & Formenbau derzeit u. a. ein ERP-System, BDE-Terminals sowie Fernalarmierungslösungen zum Einsatz kommen.

Die GBM-Kunststofftechnik & Formenbau GmbH arbeitet mit einer selbst entwickelten Software in Kombination mit adäquaten digitalen Auswertetools und bei der Engel Austria GmbH läuft bereits das „volle Programm“ wie Josef Büchsenmeister, Leitung Produktion, verrät: „Angefangen von einer Produktionssteuerung und einem Monitoring über ERP- und MES-Systeme über eine Werkzeugerkennung mittels RFID oder einer NC-Programmierung mithilfe von digitalen 3D-Modellen bis hin zu Simulationen an virtuellen Maschinen und der Implementierung von fahrerlosen Transportsystemen (FTS) machen wir uns die Möglichkeiten moderner Technologien in vielerlei Hinsicht zunutze.“

Auch Maschinenbediener können an modernen Steuerungen am digitalen Prozess teilnehmen: Alle Mitarbeiter sind bei diesem Thema unbedingt mit an Bord zu holen. (Bild Sandvik Coromant)

Auch Maschinenbediener können an modernen Steuerungen am digitalen Prozess teilnehmen: Alle Mitarbeiter sind bei diesem Thema unbedingt mit an Bord zu holen. (Bild Sandvik Coromant)

Zurückhaltung bei Predictive Maintenance

An sich gilt eine vorausschauende Wartungsmöglichkeit – Predictive Maintenance – als eine der vielversprechendsten Industrie 4.0-Anwendungen. Schließlich ist es für alle Beteiligten von großem Vorteil, wenn entsprechend vernetzte Systeme dank intelligenter Echtzeit-Analysen bereits im Vorfeld erkennen können, ob bzw. wann eine Störung aufzutreten droht. Trotzdem zeigen sich viele Unternehmen ausgerechnet bei diesem Thema eher abwartend. Eine vom VDMA und Roland Berger durchgeführte und im April 2017 präsentierte Predictive Maintenance-Studie machte ebenfalls darauf aufmerksam, dass der „Service der Zukunft“ in der gelebten Praxis ganz wo anders steht, als man eigentlich vermuten würde. Es bestätigten zwar fast alle Befragten die Bedeutung von Predictive Maintenance, aber trotzdem werde es noch „recht opportunistisch betrieben“ – so ein Ergebnis dieser Studie. Zum Befragungszeitpunkt boten zwar knapp 40 % der Studienteilnehmer entsprechende Technologien und Dienstleistungen an, die Mehrzahl steckte jedoch noch mitten in der Angebotsentwicklung oder war sogar noch untätig. Bis dato ungeklärt seien nämlich vor allem zwei Dinge: Die Frage, wie sich Predictive Maintenance-Angebote zu Geld machen lassen und wer auf welche Daten zugreifen darf.

Auch bei unserer Fragestellung, ob bei den österreichischen Zerspanungsbetrieben bereits Tools zur Präventivwartung genutzt werden, erlebten wir ebenfalls eine Überraschung: denn rund zwei Drittel der Antworten lauteten tatsächlich „Nein“. Wobei es seitens der Heldeco CAD/CAM Fertigungstechnik GmbH „Nein, noch keine“ und seitens der Oberaigner Powertrain GmbH „Derzeit noch nicht“ hieß. Bereits gelebt wird präventive Wartung bei Schittl bzw. WIHO (Anm.: zumindest bei einigen der Werkzeugmaschinen), während Engel-Produktionsleiter Josef Büchsenmeister der ganzen Thematik ein wenig zwiegespalten gegenübersteht: „Hier haben wir noch die größten Potenziale, aber auch die größte Skepsis wegen eines möglichen Datenmissbrauchs und der geöffneten Türen unserer Systeme“, erklärt er. Und mit dieser Aussage spricht er wohl vielen Firmen aus dem Herzen, wie die allgemeine Zurückhaltung bei der Ausschöpfung des vollen Predictive Maintenance-Potenzials beweist.

Eine durchgängige, digitale Prozesskette ist ebenfalls ein wesentlicher Mehrwert für die Unternehmen. (Bild: Engel)

Eine durchgängige, digitale Prozesskette ist ebenfalls ein wesentlicher Mehrwert für die Unternehmen. (Bild: Engel)

Digitalisierung bringt´s

„Produktiv und wirtschaftlich gearbeitet haben wir zwar vorher auch schon, aber wir sind dank vorausschauender Planung und einer gezielteren Kapazitätsplanung effizienter geworden. Außerdem hat sich unsere Liefertermintreue erhöht“, zeigt sich Roman Gradwohl zufrieden mit den positiven Auswirkungen der bereits eingeleiteten Digitalisierungsmaßnahmen. Markus Meister kann ebenfalls aus eigener Erfahrung bestätigen, dass es wirklich etwas bringt, bedarfsgerecht zu digitalisieren: „Wir erhalten echtzeitaktuelle Kennzahlen und können bei etwaigen Abweichungen sofort eingreifen“, freut er sich. Und auch Josef Büchsenmeister weiß es zu schätzen, dass eine digitale Auswertung von Produktionsdaten es erlaubt „gezielter die Hebel an den richtigen Stellen anzusetzen“.

Mitarbeiter einbeziehen

Worüber sich ausnahmslos alle Teilnehmer an unserer Digitalisierungsumfrage einig waren: Die Mitarbeiter sind bei diesem Thema unbedingt mit an Bord zu holen. Und egal, ob jung oder alt – es müssen alle fit für Industrie 4.0 und das weitere unaufhaltsame Voranschreiten der Digitalisierung gemacht werden, um den Standort Österreich auf einem konkurrenzfähigen Niveau zu halten.

www.zerspanungstechnik.com

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