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Einfach besser drehen: Praktische Tipps für die Zerspanung von Walter
Die Drehbearbeitung ist heute anspruchsvoller denn je – Materialvielfalt, mannlose Fertigung, Kostendruck und Prozesssicherheit fordern Zerspaner und Werkzeughersteller gleichermaßen. Doch mit Know-how, Technologievorsprung und einem durchdachten Produktprogramm lässt sich all dem begegnen. Im Technologiecenter der Walter AG in Tübingen trafen wir zwei echte Drehprofis: Gerd Kussmaul, Senior Produktmanager Turning bei der Walter AG, und Werner Strobel, Produktmanager bei der Walter Deutschland GmbH. Ihr gemeinsames Ziel: Den Slogan „Besser drehen“ mit Inhalt zu füllen – für stabile Prozesse, wirtschaftliche Lösungen und maximalen Kundennutzen.
Drehkompetenz im Doppelpack: Gerd Kussmaul und Werner Strobel im Technologiecenter Tübingen – gemeinsam bringen sie den Slogan „Besser drehen“ auf den Punkt.
Walter im Überblick:
Die Walter AG mit Hauptsitz in Tübingen zählt zu den weltweit führenden Herstellern von Präzisionswerkzeugen für die Metallbearbeitung. Seit über 100 Jahren prägt das Unternehmen die Zerspanungsbranche durch innovative Werkzeuglösungen, neue Schneidstofftechnologien und umfassende Serviceangebote. Walter versteht sich dabei nicht nur als Werkzeuglieferant, sondern als Systempartner, der gemeinsam mit Kunden aus unterschiedlichsten Branchen effiziente und prozesssichere Fertigungslösungen entwickelt.
Eckdaten:
• Gründung: 1919, Hauptsitz in Tübingen, Deutschland
• Mitarbeitende: weltweit rund 3.500
• Technologiecenter: zentrale Anlaufstelle für Tests, Schulungen und gemeinsame Prozessentwicklungen
• Drehportfolio: ISO-Drehen, Stechen, Gewindedrehen, Advanced Materials – vom Standardwerkzeug bis zur Speziallösung
• Technologie-Highlight: Tiger·tec® Gold – eine Sorte mit texturierter Kristallstruktur für maximale Standzeit und Prozesssicherheit
• Digitale Tools: Walter GPS, Toolmanagement-Lösungen, CAD/CAM-Support und weitere digitale Services
Herr Kussmaul, Herr Strobel – warum ist das Drehen auch im Jahr 2025 noch eine Herausforderung?
Werner Strobel: Das beginnt bei der Vielfalt der Maschinen und reicht über tausende Werkstoffe bis zu individuellen Werkstückanforderungen. Nehmen Sie einen simplen C45-Stahl, selbst da gibt es mehrere Varianten in der Zugfestigkeit. Jedes Material, jede Maschine und jeder Prozess verlangt andere Herangehensweisen. Dazu kommt der steigende Kostendruck und der Wunsch nach wirtschaftlichen, prozesssicheren Abläufen – besonders in der mannlosen Fertigung.
Gerd Kussmaul: Die Anforderungen steigen auch durch neue Materialien, etwa Inconel, Titan oder bleifreie Automatenstähle. Diese sind oft schwer zerspanbar, erzeugen lange Späne, erfordern spezielle Strategien. Gleichzeitig erwartet der Markt schnellere Durchlaufzeiten, bessere Qualität und mehr Flexibilität. Das ist nur mit innovativen Werkzeugen und verlässlicher Prozessauslegung machbar.
Die goldene Lösung für moderne Drehprozesse: Tiger·tec Gold überzeugt mit hoher Standzeit und exzellenter Schnittqualität.
Was zeichnet einen wirtschaftlichen und prozesssicheren Drehprozess aus?
Kussmaul: Wirtschaftlichkeit entsteht, wenn ein Prozess effizient läuft – mit hoher Standzeit, stabiler Spanbildung und ohne Ausschuss. Prozesssicherheit bedeutet: Ich kann mich darauf verlassen, dass auch in der dritten Geisterschicht ohne Bediener die Maschine zuverlässig Teile produziert. Dafür braucht es Werkzeuge, die keine Überraschungen liefern, also exakt definierte Standzeiten, kontrollierte Verschleißbilder, stabile Klemmsysteme.
Strobel: Gerade in der Serienfertigung ist das entscheidend. Kunden nehmen oft nur noch Aufträge an, die sie nachts mannlos fahren können. Das geht nur mit durchdachten Prozessen und passenden Werkzeugen.
Für Werner Strobel ist wichtig, dass auch einfache Dinge wie ein intakter Plattensitz oder ein passender Halter nicht unterschätzt werden
Welche Rolle spielt dabei das Technologiecenter in Tübingen?
Strobel: Hier können wir über 90 % der Drehprozesse realitätsnah abbilden. Kunden kommen mit konkreten Anforderungen und wir entwickeln mit ihnen gemeinsam den passenden Bearbeitungsprozess. Ob Langdrehteile, schwer zerspanbare Werkstoffe oder neue Strategien, wir fahren Tests, optimieren Schnittwerte und liefern schlüsselfertige Lösungen. Auch Schulungen für Anwendungstechnik, Vertrieb oder Kunden finden hier statt.
Kussmaul: Wir testen hier auch neue Werkzeuge und Geometrien, bevor sie überhaupt auf den Markt kommen. Das Technologiecenter ist unser Labor, unsere Bühne und unser Entwicklungspartner.
Kopierdrehsysteme mit mehr Präzision und gesteigerter Standmenge: Neben drei Varianten, die Freistiche bis zu 50° sowie zum Teil axial ermöglichen, gibt es eine Vollradiusvariante die z.B. beim dynamischen Drehen zum Einsatz kommt.
„Tiger·tec Gold zeigt, dass Fortschritt nicht nur in neuen Beschichtungen steckt, sondern im perfekten Zusammenspiel von Schneidstoff, Geometrie und Anwendung. Erst wenn alles harmoniert, entstehen wirklich stabile und wirtschaftliche Prozesse. “
Wie helfen digitale Tools wie Walter GPS in der Praxis weiter?
Strobel: Walter GPS macht aus einem komplexen Bearbeitungsvorgang einen strukturierten, nachvollziehbaren Prozess. Der Anwender gibt seine Anforderungen ein – Material, Maschine, Aufspannung – und erhält die passende Werkzeugempfehlung inklusive Schnittdaten, Bearbeitungsstrategie und Geometrie.
Kussmaul: Sogar Details wie die benötigte Unterlagsplatte beim Gewindedrehen, die abhängig ist von der Gewindesteigung, werden vorgeschlagen. Das spart Zeit, vermeidet Fehler und unterstützt gerade auch jüngere oder weniger erfahrene Anwender enorm.
Mit dem System Groov·tec™ bietet Walter insgesamt 12 Geometrien in sieben hochverschleißfesten Tiger·tec® Gold-Sorten zum Ab- und Einstechen, Stechdrehen und Kopierdrehen an.
Was bedeutet „Besser drehen“ aus Ihrer Sicht konkret?
Kussmaul: Nehmen wir unser neues Stechsystem Groovtec™ GD: Dessen Deoppelverzahnung verhindert, dass die Kraft auf eine einzelne Stelle einwirkt. Dadurch hält das Werkzeug und die Wendeschneidplatte länger, ist stabiler und einfacher zu handhaben. Oder unser WL-Kopierdrehsystem mit Formschluss, das die Standzeit und Präzision deutlich erhöht. „Besser drehen“ heißt für uns: robuste, anwenderfreundliche Werkzeuge, die reproduzierbar funktionieren.
Strobel: Es bedeutet auch, den Kunden aktiv zu begleiten. Unsere Außendienstmitarbeiter beraten direkt vor Ort, erkennen Verbesserungspotenzial und unterstützen bei der Optimierung. Oft zeigt gerade der Blick von außen Aspekte, die intern längst zur Gewohnheit geworden sind.
Blick hinter die Kulissen: Die Dreharbeiten zum neuen Videocast der x-technik FERTIGUNGSTECHNIK bei Walter in Tübingen.
Wie wichtig ist das breite Drehportfolio von Walter dabei?
Kussmaul: Extrem wichtig. Wir verstehen uns als Systemanbieter: ob Abstechen, Kopierdrehen, Gewindedrehen oder Hartbearbeitung – vom Standard bis zur Speziallösung. Walter deckt nicht nur das gesamte Anwendungsspektrum ab, sondern auch unterschiedliche Branchen und Losgrößen. Und das weltweit.
Strobel: Und das schätzen unsere Kunden: weniger Lieferanten, dafür mehr Vertrauen, mehr Partnerschaft, mehr Know-how. Denn nur gemeinsam lassen sich Prozesse wirklich optimieren.
„Sechs Minuten eingespart – eine Wendeplatte gewonnen!“ Das Sparschwein bringt auf den Punkt, worauf es beim wirtschaftlichen Drehen ankommt.
Ein zentrales Thema bei Walter ist aktuell Tiger·tec® Gold. Was macht diese Wendeschneidplatten-Generation so besonders?
Kussmaul: Tiger·tec Gold ist unsere neueste Hochleistungs-Schneidstoffgeneration zum Fräsen, Bohren und Drehen, die sich durch eine einzigartige goldfarbene PVD-Beschichtung und eine CVD-Beschichtung auszeichnet, um Prozesssicherheit, Standzeit und Verschleißfestigkeit zu maximieren. Technologisch betrachtet ist Tiger·tec Gold die Kombination aus einer Beschichtung mit kristalliner Ausrichtung, einer mehrlagigen Struktur und einer speziellen Nachbehandlung, die gezielt Druckspannungen erzeugt – speziell bei den CVD-Sorten WPP..G. Dadurch verlängert sich die Standzeit, die Verschleißfestigkeit verbessert sich und die Schneidplatte wird insgesamt robuster, selbst bei hohen Temperaturen oder in der Trockenbearbeitung.
Strobel: Darüber hinaus spielen speziell entwickelte Geometrien eine entscheidende Rolle. Erst das perfekte Zusammenspiel von Sorte und Geometrie ermöglicht es, das volle Potenzial der Werkzeuge auszuschöpfen. Dieser Zusammenhang wird in der Praxis häufig unterschätzt, denn auch die beste Beschichtung kann ihre Wirkung nicht entfalten, wenn die Geometrie nicht zur jeweiligen Anwendung passt.
Im Gespräch über moderne Drehprozesse: Robert Fraunberger im Austausch mit Gerd Kussmaul und Werner Strobel über das Walter-Motto „Einfach besser Drehen“.
Wo geht die Entwicklung hin – was kommt als Nächstes?
Kussmaul: Wir arbeiten an neuen CBN-Sorten für das Hartdrehen, erweitern Tiger·tec Gold gezielt für Superlegierungen und entwickeln modulare Stechsysteme, die noch mehr Flexibilität bei gesteigerter Stabilität ermöglichen. Parallel dazu befindet sich bereits die nächste Generation von Schneidstoffen in Entwicklung, mit einem klaren Fokus auf die Anforderungen, die bis 2030 relevant werden.
Strobel: Ein zentrales Zukunftsthema ist die Kühlung. In Europa ist die Präzisionskühlung durch den Werkzeugkörper bereits fest etabliert, weltweit jedoch noch nicht überall umgesetzt. Neue Entwicklungen stellen sicher, dass Kühlkanäle zuverlässig offen bleiben und der gesamte Fertigungsprozess effizienter wird. Langfristig wird die Präzisionskühlung bei allen Werkzeugen Standard sein, da sie Fehlerquellen ausschließt und die Prozesssicherheit erhöht. Unser Ziel bleibt es, Bearbeitungsprozesse kontinuierlich besser, sicherer und wirtschaftlicher zu gestalten.
Für Werner Strobel ist klar: „Erst das perfekte Zusammenspiel von Sorte und Geometrie ermöglicht es, das volle Potenzial der Werkzeuge auszuschöpfen.“
Und zum Schluss: Drei Tipps für „besseres Drehen“?
Strobel: Erstens ist es entscheidend, das richtige Werkzeug für den jeweiligen Anwendungsfall auszuwählen. Zweitens muss die Maschine inklusive der Aufspannung technisch in einwandfreiem Zustand betrieben werden. Und drittens sollte man immer den gesamten Prozess im Blick behalten – dazu gehören Schnittwerte, Strategie und Zustellung.
Kussmaul: Sehr wichtig ist auch partnerschaftlich zu denken. Es geht nicht darum, einfach nur Produkt A gegen Produkt B auszutauschen, sondern gemeinsam mit dem Kunden den besten Prozess zu entwickeln.









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