anwenderreportage

Emuge-Franken Pagode: Formfräser für die Dampfturbinenherstellung

Entwicklungspartnerschaft in der Werkzeugtechnologie: Als Hersteller kundenspezifischer Industriedampfturbinen ist Siemens Görlitz auf den Einsatz neuester Fertigungstechnologien angewiesen. Beim Thema Werkzeug arbeitet das Unternehmen daher unter anderem eng mit Emuge-Franken zusammen. Ein aktuelles Beispiel ist die Entwicklung eines Pagode-Fräsers zum Schlichten an Rotor-Schaufel-Verbindungen.

An der Industriedampfturbine SST-800 mit 250 MW Leistung wird die Dimension der zu fertigenden Schaufelfußnuten deutlich (Bild: Siemens AG)

An der Industriedampfturbine SST-800 mit 250 MW Leistung wird die Dimension der zu fertigenden Schaufelfußnuten deutlich (Bild: Siemens AG)

Shortcut

Aufgabenstellung: Bearbeitung von Schaufelfußnuten und Schaufelfüßen von Industriedampfturbinen.

Lösung: Pagode-Fräser von Emuge-Franken.

Vorteil: Reduktion der eingesetzten Werkzeuge, Produktivität und Prozesssicherheit erhöht, Standweg verlängert.

Siemens Görlitz und Emuge-Franken praktizieren seit Jahren eine enge Kooperation rund um das Werkzeug. Im Zentrum dieser Zusammenarbeit steht derzeit ein neuer Formfräser, mit dem künftig Schaufelfußnuten und Schaufelfüße von Industriedampfturbinen bearbeitet werden. Zu dem Projekt war es im vorletzten Jahr gekommen. Klar war von vornherein: Man musste am realen Produkt testen und durfte sich keine Fehler erlauben. „Trotzdem haben wir sofort unsere Bereitschaft erklärt“, betont Marco Simonovski, Leiter Tool-Design bei Siemens Görlitz. „Warum? Weil die Entwicklungen bei dieser speziellen Bearbeitung in den letzten Jahren überschaubar geblieben sind. Außerdem hat die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Emuge-Franken wiederholt gezeigt, dass wir gemeinsam innovativ sind und klassische Win-Win-Situationen kreieren.“

Siemens fertigt am Standort Görlitz Industriedampfturbinen, die grundsätzlich kundenspezifisch sind. Die Variabilität der auftragsbezogenen Fertigung wird dabei über eine Technologieplattform sichergestellt. Gegliedert ist die Produktion in die Bereiche Schaufelfertigung, mechanische Bearbeitung Rotor und Stator sowie Montage und Prüfstand. In der Schaufelfertigung durchläuft der Standort derzeit einen Transformationsprozess hin zum Kompetenzzentrum. Nach dessen Abschluss werden hier alle ungehärteten Niederdruckschaufeln für das Siemens-Dampfturbinengeschäft gefertigt. Damit hat die Entwicklung neuer Technologien, nicht zuletzt die von Werkzeugen, eine weitreichende Bedeutung.

Für die Bearbeitung der Schaufelfüße mit dem Pagode-Fräser sind bei Siemens in Görlitz die Versuche angelaufen (Bild: Michael Hobohm)

Für die Bearbeitung der Schaufelfüße mit dem Pagode-Fräser sind bei Siemens in Görlitz die Versuche angelaufen (Bild: Michael Hobohm)

Infos zum Anwender

Görlitz ist einer von weltweit mehreren Siemens-Standorten, an denen Industriedampfturbinen hergestellt werden. Mit rund 900 Mitarbeitern hat Görlitz als Zentrale und Leitwerk des globalen Industriedampfturbinengeschäfts jedoch eine herausgehobene Stellung. So werden am Standort etwa Fertigungstechnologien für Industriedampfturbinen entwickelt, die man dann auf andere Standorte ausrollt. Das gilt auch für die Entwicklung neuer Werkzeugtechnologien. Im Portfolio der Siemens-Industriedampfturbinen, deren Leistungsbereich von 2 bis 250 MW reicht, deckt Görlitz den mittleren Leistungsbereich von 60 bis 250 MW ab.

www.siemens.com

Ergebnisoffenes Herangehen

„Eine entscheidende Zielgröße bei der Herstellung von Industriedampfturbinen sind für uns Produktkosten. Mit dem Pagode-Fräser wollen wir dafür die Produktivität erhöhen und den Standweg verlängern“, schildert Simonovski den Ausgangspunkt der Entwicklungspartnerschaft. „Weil konkrete Vorgaben bei neuen Technologien aber nicht sinnvoll sind, starteten wir letztlich erge bnisoffen in das Projekt.“ Die nächsten Schritte, die folgten, waren ein Besuch bei Emuge-Franken, wo das Werkzeug vorgeführt wurde, sowie ein erster Werkzeugtest in Görlitz. War Emuge-Franken bis dahin davon ausgegangen, dass der Pagode-Fräser allein zur Schaufelfußnutbearbeitung eingesetzt wird, wollte Siemens damit nun auch den Schaufelfuß bearbeiten. „Emuge-Franken hat sich sofort bereit erklärt, diesen Schritt mitzugehen. Das ist umso wichtiger, als wir bei der aktuellen Transformation zum Schaufelkompetenzzentrum immer Bedarf haben, uns zu verbessern.“

Bei den Rotoren wurde innerhalb von drei Monaten alles Notwendige für eine scharfe Fertigung auf die Beine gestellt. „Vor allem mussten wir in dieser Zeit die spezifischen Werkzeuge herstellen“, betont Reinhard Geist, Anwendungstechniker bei Emuge-Franken. „Je nach Turbine gibt es spezielle Werkzeugformen und -größen, die nach Kundenanforderung zum Einsatz kommen. Tests sind also immer formenspezifisch. Das heißt auch, dass wir bei der Skalierung weiterer Werkzeugformen immer auf Aufträge zu entsprechenden Turbinen warten müssen. Bis zum Test eines modifizierten Werkzeugs können schon mal Monate vergehen.“

Die aktuelle Ausführung des Pagode-Fräsers zum Schlichten von Schaufelfußnuten (Bild: Emuge)

Die aktuelle Ausführung des Pagode-Fräsers zum Schlichten von Schaufelfußnuten (Bild: Emuge)

Konturäquidistant zerspanen

Für die Schaufelfußnut- und Schaufelfußbearbeitung gibt es seit vielen Jahren die klassischen Tannenbaumfräser. In diese Werkzeuge werden gerade oder spiralförmige Spannuten eingebracht, die nicht an die Außenkontur angepasst sind. Damit haben sie große Spanräume, die nicht immer benötigt werden. Zugleich sind die Werkzeuge durch diese Nuten in der Schneidenanzahl und damit dem Vorschub begrenzt. „Beim Pagode-Fräser dagegen passen sich die Nuten der Außenkontur an. Der Nutgrund ist dabei konturäquidistant gestaltet. Außerdem sind sie deutlich kleiner. Somit konnten wir die Schneidenzahl von vier auf acht verdoppeln und die Vorschubgeschwindigkeit massiv erhöhen“, schildert Geist. „Erforderlich ist mit den kleineren Spanräumen freilich eine verstärkte Kühlung.“ Um Abschottungen durch die Kontur der Spankammer zu verhindern sowie Späne und Schneidkanten ausreichend mit Kühlmittel zu umspülen, wurde der Pagode-Fräser daher mit deutlich mehr Austrittsöffnungen ausgestattet.

„Ein weiteres Merkmal des Fräsers sind seine größeren Drallwinkel, mit denen stets zwei Schneiden im Eingriff sind. Das Werkzeug läuft somit sehr ruhig und garantiert eine hohe Oberflächenqualität“, berichtet Christian Schwierz, Vertriebsmitarbeiter bei Emuge-Franken. „Außerdem wird statt eines formkonstanten Hinterschliffs mit tangentialem Hinterschliff gearbeitet. Während sich bei formkonstanten Werkzeugen die Freiwinkel ändern, lassen sie sich beim tangentialen Hinterschliff an jeder Partie annähernd konstant halten. Unmittelbare Folgen sind ein langsameres Verschleißwachstum und längere Standwege.“ Die Kehrseite des tangentialen Hinterschliffs ist freilich der höhere Aufwand beim Nachschleifen. „Momentan ist die Instandsetzung nicht geklärt, und wir sind konzeptionell bei einem Single-Fräser. Aber das ist nicht das Ziel“, betont Geist. Simonovski zufolge müssten die üblichen Nachschliffzahlen nicht unbedingt erreicht werden, wenn der Fräser produktiver ist und deutlich länger hält: „Am Ende ist die Gesamtbetrachtung des Prozesses entscheidend. Wenn das Paket stimmt, sind auch Single-Fräser eine Option.“

Dass die Profilfertigfräser im Gegensatz zu den Profilvorfräsern in HSS gefertigt werden, war eine unumstößliche Forderung von Siemens für die Schaufelfußnutbearbeitung. So wird verhindert, dass beim Schlichten Zugeigenspannungen in der Nut erzeugt werden, die im späteren Einsatz zu Rissen führen könnten. Gefertigt wird der Pagode-Fräser derzeit in einer Kombination aus Fräsen und abschließendem Schleifen.

Die künftige Aufgabe der Pagode-Fräser von Emuge-Franken: das Schlichten produktspezifischer Rotor-Schaufel-Verbindungen. (Bild: Michael Hobohm)

Die künftige Aufgabe der Pagode-Fräser von Emuge-Franken: das Schlichten produktspezifischer Rotor-Schaufel-Verbindungen. (Bild: Michael Hobohm)

Zwei statt zehn Werkzeuge

Der Stand der Versuche in der Rotorfertigung läuft derzeit auf eine Erhöhung der Vorschubgeschwindigkeit um 20 bis 30 Prozent hinaus. Damit ist die Produktivität zwar nicht in dem Maße gestiegen, wie man es erwartet hatte, allerdings ist der Standweg deutlich länger. „So haben wir mit einem Pagode-Fräser die Nuten einer kompletten Endstufe fertiggefräst, wo wir bislang in der Regel zehn Werkzeuge einsetzen“, berichtet Simonovski. „Obwohl diese Ergebnisse noch abschließend bestätigt werden müssen, kann man davon ausgehen, dass wir künftig maximal zwei Werkzeuge statt zehn einsetzen könnten.“ Der längere Standweg stellt zudem weitere Effekte wie einen geringen Aufwand beim Werkzeugwechsel in Aussicht. Da dieser Wechsel wie auch das erneute Anfahren manuell erfolgt, verspricht der Einsatz des Pagode-Fräsers daher auch eine höhere Prozesssicherheit.

Nicht ganz so weit ist man derzeit mit den Versuchen im Bereich Schaufelfüße, die auf einem 4-Achs-Bearbeitungszentrum aus hochlegierten Stählen wie X5, X10, X12, X20 oder X22 hergestellt werden. „Während wir hier bisher mit Aufsteckwerkzeugen arbeiten, gehen wir nun neue Wege“, hebt Jan Walter hervor, NC-Programmierer in der Schaufelfertigung. „Emuge-Franken hat uns dafür einen herkömmlichen Tannenbaumfräser mit fünf Schneiden und den Pagode-Fräser mit neun Schneiden zur Verfügung gestellt, mit denen wir die Versuche fahren und die Ergebnisse direkt vergleichen können.“ Ausgehend von den Resultaten in der Rotorfertigung wurden auch hier die Produktivität und der Standweg als Zielgrößen definiert. Die ersten Tests fanden vor wenigen Wochen statt. „Anders als in der Rotorbearbeitung müssen wir dabei mit dem Werkzeug nicht durchfahren und können die Ergebnisse messen“, sagt Walter. „So können wir uns an das finale Maß herantasten und eine Technologie empirisch erarbeiten. Aber damit sind wir noch am Anfang.“

Das Projektteam (v.l.n.r.): Christian Schwierz, Vertriebsmitarbeiter bei Emuge-Franken, Jan Walter, NC-Programmierer in der Schaufelfertigung bei Siemens Görlitz, Reinhard Geist, Anwendungstechniker bei Emuge-Franken, und Marco Simonovski, Leiter Tool-Design bei Siemens Görlitz, in der Diskussion zu den aktuellen Tests in der Schaufelfußfertigung (Bild: Michael Hobohm)

Das Projektteam (v.l.n.r.): Christian Schwierz, Vertriebsmitarbeiter bei Emuge-Franken, Jan Walter, NC-Programmierer in der Schaufelfertigung bei Siemens Görlitz, Reinhard Geist, Anwendungstechniker bei Emuge-Franken, und Marco Simonovski, Leiter Tool-Design bei Siemens Görlitz, in der Diskussion zu den aktuellen Tests in der Schaufelfußfertigung (Bild: Michael Hobohm)

Am Standort Siemens Görlitz werden kundenspezifische Industriedampfturbinen im mittleren Leistungsbereich bis circa 250 MW hergestellt. Dazu gehört auch die SST-600 mit bis zu 200 MW (Bild: Siemens AG)

Am Standort Siemens Görlitz werden kundenspezifische Industriedampfturbinen im mittleren Leistungsbereich bis circa 250 MW hergestellt. Dazu gehört auch die SST-600 mit bis zu 200 MW (Bild: Siemens AG)

Großes Potenzial erschließen

„Der Pagode-Fräser hat großes Potenzial, sodass wir sehr daran interessiert sind, die Entwicklung voranzutreiben“, beurteilt Simonovski den Zwischenstand der aktuellen Entwicklungspartnerschaft. „Aus den Versuchen in der Rotornutbearbeitung haben wir mehrere Verbesserungsansätze wie die Spülwirkung des Kühlmittels mitgenommen.“ Zugleich gäbe es bei der Geometrie verschiedene Stellschrauben, an denen man drehen wolle. „Wichtige Punkte für uns als Hersteller sind die Optimierung des Fertigungsprozesses und das Schaffen von Fertigungskapazitäten“, bringt Geist weitere Schritte auf den Punkt. „Nicht zuletzt wollen wir mit dem Werkzeug in Richtung Nachschleifbarkeit gehen.“ Natürlich fließen die Erkenntnisse aus den bisherigen Versuchen in die nächsten Tests ein, die Ende des Jahres geplant sind. Bei einem Auftrag über mehrere baugleiche Rotoren können die Tests sogar länger gefahren werden, sodass man aus dem Experimentierstadium herausgehen und direkt in die Fertigung einsteigen kann.

Filtern

Suchbegriff

Unterkategorie

Firmen

Inhaltstyp

Firmentyp

Land