Den Drachen „Software“ zähmen

Softwareaufwand in Maschinenbau und Automatisierung reduzieren: Eine fachspezifische, grafische Modelliersprache für verteilte Steuerungssysteme vom LIT Cyber-Physical Systems Lab der JKU Linz macht die Prozessprogrammierung für Maschinen zum Baukastenspiel. Auf der nächsthöheren Ebene ergänzt dies der Workflow Modeler der Forschungsgruppe Smart Automation & Robotics am FH OÖ Campus Wels. Er macht es einfach, Maschinen, Zusatzeinrichtungen, Handhabungsgeräte und Roboter unterschiedlicher Hersteller zu Produktionsanlagen mit hoher Flexibilität nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 zu vernetzen. Von Ing. Peter Kemptner, x-technik

Die praxisnahe Umsetzung der Workflowmodellierung zur Verkettung unterschiedlicher Maschinen und Module zu ganzen Produktionsanlagen erfolgt im industrienahen Lehr- und Forschungslabor Center for Smart Manufacturing (CSM) der FH OÖ Campus Wels. (Bild © imBilde.at - B. Plank)

Die praxisnahe Umsetzung der Workflowmodellierung zur Verkettung unterschiedlicher Maschinen und Module zu ganzen Produktionsanlagen erfolgt im industrienahen Lehr- und Forschungslabor Center for Smart Manufacturing (CSM) der FH OÖ Campus Wels. (Bild © imBilde.at - B. Plank)

Univ.-Prof. Dr. Alois Zoitl
LIT Cyber Physical Systems Lab, Johannes Kepler Universität Linz

„Modellgetriebene Softwareentwicklung kann helfen, die zum Biest gewordene Software zu zähmen und die Entwicklungsaufwände zu reduzieren.

Angesichts steigender Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit der Produktion an veränderliche Anforderungen müssen Maschinen und Anlagen flexibler werden. Um diese Flexibilität zu realisieren, wird immer mehr Funktionalität in Maschinen integriert und werden diese zunehmend modularer aufgebaut. Zudem erfolgt eine immer weitreichendere Vernetzung unterschiedlicher Maschinen, Handhabungsgeräte und Roboter sowie umgebender Systeme wie der Fördertechnik oder der Gebäudeautomatisierung.

Im Cyber Physical Systems Lab am Linz Institute of Technology der Johannes Kepler Universität Linz arbeitet Univ.-Prof. Dr. Alois Zoitl an modellgetriebener Softwareentwicklung für Maschinensteuerungen nach IEC/EN 61499.
(Bilder: JKU und FH OÖ)

Im Cyber Physical Systems Lab am Linz Institute of Technology der Johannes Kepler Universität Linz arbeitet Univ.-Prof. Dr. Alois Zoitl an modellgetriebener Softwareentwicklung für Maschinensteuerungen nach IEC/EN 61499. (Bilder: JKU und FH OÖ)

DI (FH) Dr.techn. Roman Froschauer
Professor für Produktionsinformatik und Robotic Systems Engineering, FH OÖ Campus Wels

„Das Konfigurieren verketteter Produktionsanlagen reduziert sich mit dem Workflow Modeler WORM auf das Zusammenstellen von Modulen eines Baukastens.

Herausforderung Software

Das lässt den Anteil der Software in den Steuerungssystemen der Maschinen und Anlagen stark anwachsen. Dies führt zu einem überproportionalen Ansteigen von Entwicklungsaufwand und -kosten. Tatsächlich ist die Programmierung immer komplexerer Maschinen und vernetzter Anlagen mit den sequenziellen Methoden und traditionellen Werkzeugen der SPS-Programmierung längst an ihre Grenzen gestoßen. Sie erlaubt nur das Abarbeiten festgelegter starrer Abläufe und ist meist an die Steuerungshardware eines Herstellers gebunden. Dadurch hemmt sie die Bestrebungen der produzierenden Industrie, Maschinen, Zusatzeinrichtungen, Handhabungsgeräte und Roboter unterschiedlicher Hersteller zu Produktionsanlagen mit hoher Flexibilität nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 zu integrieren.

„Durch die rasch wachsende Anlagenkomplexität hat sich die Steuerungssoftware anscheinend in ein unbezähmbares Biest verwandelt, dem nur sehr schwer Herr zu werden ist“, sagt Univ.-Prof. DI Dr. Alois Zoitl, Professor für Cyber Physical Systems for Engineering and Production am LIT Cyber Physical Systems Lab der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz. „Insbesondere eine modellgetriebene Softwareentwicklung kann helfen, das Biest Software zu zähmen und die Entwicklungsaufwände nachhaltig zu reduzieren.“

In der Open Source Umgebung Eclipse 4diac für vernetzte Steuerungssysteme erfolgt die grafische Erstellung modularer Programme durch Instanziieren von Funktionsblöcken.

In der Open Source Umgebung Eclipse 4diac für vernetzte Steuerungssysteme erfolgt die grafische Erstellung modularer Programme durch Instanziieren von Funktionsblöcken.

Kostengünstigere Alternativen

Dazu beschäftigt sich Alois Zoitl mit aktuellen Ansätzen zur Programmierung von Maschinensteuerungen nach IEC/EN 61499. Bei dieser Norm handelt es sich um eine domänenspezifische Modellierungssprache für verteilte industrielle Mess- und Steuerungssysteme. Im Gegensatz zur Programmierung nach der meistgenutzten Norm IEC/EN 61131-3 für die zyklische SPS-Programmierung verfügen deren Funktionsblöcke über die Fähigkeit, die Programmabläufe ereignisgesteuert abzuarbeiten.

Sie ermöglichen den völlig modularen Aufbau komplexer Programme durch einfaches Zusammenschalten der einzelnen Funktionsblöcke. Das bringt die Möglichkeit, die Gesamtaufgabe auf mehrere Spezialisten aufzuteilen. Diese können immer wieder in ähnlicher Form benötigte Funktionsblöcke als Module kapseln und durch Instanziierung wiederverwenden. Da sich dabei im Gegensatz zum früher beliebten Kopieren und Abändern an den bereits getesteten und bewährten Modulen außer den aktuellen Parametern nichts ändert, beschleunigt das die Erstellung komplexer Anwendungsprogramme enorm und sichert zugleich eine hohe Qualität.

In einer Studie zum Vergleich der unterschiedlichen Programmiermethoden kamen Wissenschaftler der TU Wien unter Verwendung normierter Metriken zum Ergebnis, dass mit IEC/EN 61499 die Schwierigkeit um rund die Hälfte sinkt und der Programmieraufwand um 80 %. Obwohl sich das nicht direkt in den nötigen Zeitaufwand umlegen lässt, sind die Einsparungspotenziale enorm.

Als Softwareumgebung für Entwicklung und Ausführung der Steuerungssoftware nutzt Alois Zoitl die Open Source Software Eclipse 4diac. Sie steht au www.fordiac.org kostenlos zur Verfügung und macht es einfach, die Erstellung komplexer Steuerungsprogramme zu üben und Erfahrung mit der IEC/EN 61499 zu sammeln.

Zum einfachen Modellieren kompletter Arbeitsabläufe von Maschinen, Robotern und Menschen schuf die FH OÖ Campus Wels einen Workflow Modeler. Dessen einfach zu handhabendes grafisches Tool ermöglicht die auf Skills basierende Verkettung ganzer Produktionsanlagen ohne vertiefende Softwarekenntnisse.

Zum einfachen Modellieren kompletter Arbeitsabläufe von Maschinen, Robotern und Menschen schuf die FH OÖ Campus Wels einen Workflow Modeler. Dessen einfach zu handhabendes grafisches Tool ermöglicht die auf Skills basierende Verkettung ganzer Produktionsanlagen ohne vertiefende Softwarekenntnisse.

Schneller zu mehr Flexibilität

Die Mechanismen der IEC/EN 61499 zur Wiederverwendung und Verbindung der einzelnen Funktionsblöcke ermöglichen es auch, diese einfach freizügig zu verschiedenen Gesamtprogrammen zu gruppieren. „Vor allem aber ermöglicht die modulare Modellierung der Funktionalität die optimierte Verteilung des fertigen Gesamtprogrammes auf mehrere Steuerrechner“, ergänzt Alois Zoitl. „So kann diese einerseits bedarfsgerecht dimensioniert werden, andererseits lassen sich mit nur einmaligem Programmieraufwand unterschiedlich leistungsfähige Gesamtmaschinen realisieren und diese auch später einfach um- oder aufrüsten.“

Erst diese Entkopplung von Hard- und Software sowie Mechanik ermöglicht die Umkehr der früher üblichen Entwicklungsreihenfolge. Damit kann die Maschine mit all ihren Funktionen bereits im Systemmodell getestet werden, während sich ihre mechanischen Teile noch in Entwicklung befinden. Und die Dimensionierung der Steuerhardware kann auf Basis gesicherter Ergebnisse erfolgen und Marketingüberlegungen wie unterschiedliche Leistungsklassen berücksichtigen.

Die Skill-based Automation in der FH OÖ Campus Wels wird an einem Arbeitsplatz mit Roboter und Visualisierung praktisch umgesetzt.

Die Skill-based Automation in der FH OÖ Campus Wels wird an einem Arbeitsplatz mit Roboter und Visualisierung praktisch umgesetzt.

Nächste Ebene Gesamtanlage

Weil die Funktionsblöcke einheitliche Mechanismen und Schnittstellen verwenden, machen sie Maschinen- oder Anlagenbauer von der Herkunft der Hardware unabhängig. Der Datenaustausch untereinander und mit angrenzenden oder darüber liegenden Prozessen erfolgt mit der Protokollsprache OPC UA. Diese enthält eine Art Vorstellungslogik, sodass neue Anlagenteile auch später sehr einfach eingebunden werden können, weil sie nicht bereits beim Erstellen der ursprünglichen Programmierung berücksichtigt werden mussten.

Die Möglichkeiten von OPC UA nutzt auch DI (FH) Dr.techn. Roman Froschauer, Professor für Produktionsinformatik und Robotic Systems Engineering an der FH OÖ Campus Wels. Er arbeitet auf der nächsthöheren Ebene an Software-Enwicklungsmethoden, die Maschinen- und Anlagenbauern, aber auch Anwendern das Kombinieren verschiedener Maschinen und Maschinenteile zu einem intelligenten Gesamtsystem erleichtern.

Arbeitsschritte einfach modellieren

Die Idee hinter dem von der Forschungsgruppe Smart Automation & Robotics an der FH OÖ Campus Wels entwickelten Workflow Modeler WORM ist, dass die Fähigkeiten von Modulen oder Baugruppen den Fertigkeiten (engl. Skills) von Facharbeitern entsprechen. „Wie die Arbeitsvorbereitung diesen Arbeitsanweisungen zuteilt, nutzt die Arbeitsschrittmodellierung die Funktionsblöcke nach IEC/EN 61499, indem sie diese aufruft und mit den nötigen Parametern versorgt“, beschreibt Roman Froschauer das Prinzip hinter dem, was er Skill-based Automation nennt.

Ganz ohne die traditionell erforderlichen, iterativen Schritte der Softwareerstellung für zusammenhängende Systeme ermöglicht der Workflow Modeler das einfache Modellieren kompletter Arbeitsabläufe von Maschinen, Robotern und Menschen. Zum Erstellen der Workflowmodelle stellt die Modellierungssoftware ein einfach zu handhabendes grafisches Tool zur Verfügung.

Die Entkopplung der Workflowmodellierung von der eigentlichen Softwareentwicklung für die einzelnen Steuerungen und Visualisierungseinrichtungen ermöglicht die auf Skills basierende Verkettung ganzer Produktionsanlagen ohne vertiefende Softwarekenntnisse. Dabei erfolgt eine Aufteilung zwischen der einmaligen generischen Programmerstellung durch Experten mit Prozess-Knowhow – analog zu der Grundlagenarbeit der JKU innerhalb der Maschine – und der bedarfsgerechten Ablaufgestaltung durch Anwender.

Anlagenkonfiguration für alle

„Die teilautomatisierte Erstellung der Einzelprogramme für Maschinen, Roboter und Handhabungsgeräte erleichtert das Konfigurieren verketteter Produktionsanlagen“, erklärt Roman Froschauer. „Für diese Aufgabe werden keine hochqualifizierten, raren Softwarespezialisten benötigt, sie reduziert sich auf das Zusammenstellen von Modulen eines Baukastens.“

Das ermöglicht Systemintegratoren und in vielen Fällen sogar den produzierenden Betrieben selbst das einfache Konfigurieren auch komplexer Produktionsanlagen, das mit klassischer SPS-Programmierung kaum noch zu bewerkstelligen wäre. Zusätzlich lassen sich die Workflowmodelle mithilfe einer Runtime direkt ausführen und testen. Dabei werden Benutzereingaben und Prozessdaten ausgewertet und die daraus resultierenden Befehle für die Durchführung der Arbeitsprozesse über beliebige Kommunikationsstandards an die integrierten Komponenten weitergeleitet.

Aktuell arbeitet die FH OÖ gemeinsam mit Projektpartnern aus der heimischen Industrie an einer kommerziellen Version der Software. Eine kostenlose Version mit reduziertem Funktionsumfang wird ab März ebenfalls zur Verfügung stehen. Zurzeit entsteht eine Schnittstelle zum standardisierten, XML-basierten Datenformat AutomationML, einen offenen Standard für die Speicherung und zum Austausch von Anlagenplanungsdaten. Erste Erfolge konnte das Institut bereits mit der Anbindung eines SAP-Produktkonfigurators für die automatisierte individuelle Fertigung von Produkten mit Losgröße 1 erzielen.

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