TU Wien IFT TU Graz: Forschung als Wegbegleiter der Industrie

Die Digitalisierung der Fertigung ist nicht allein Sache der produzierenden Betriebe und deren Technologie-Zulieferer. Wertvolle Unterstützung erhalten Gewerbe und Industrie in Österreich durch rege akademische Aktivitäten, sowohl in der Grundlagenforschung als auch durch anwendungsnahe Studien. Hauptakteure sind die Institute für Fertigungstechnik der Technischen Universitäten Wien und Graz. Beide betreiben gemeinsam mit Partnern aus der Industrie Pilotfabriken, in denen sie Technik und Methoden für die Umsetzung der Konzepte von Industrie 4.0 erarbeiten und verifizieren, sodass Anwender auf geprüfte und ausgereifte Konzepte zurückgreifen können. Von Ing. Peter Kemptner, x-technik

Die Forschungsschwerpunkte des Instituts für Fertigungstechnik der TU Graz in der Zerspanung sind das drehzahlsynchrone Schleifen unrunder Werkstücke sowie die Ultraschall-unterstützte Bearbeitung.

Die Forschungsschwerpunkte des Instituts für Fertigungstechnik der TU Graz in der Zerspanung sind das drehzahlsynchrone Schleifen unrunder Werkstücke sowie die Ultraschall-unterstützte Bearbeitung.

Prof. Friedrich Bleicher
Institutsvorstand Institut für Fertigungstechnik, TU Wien

„Wir konnten Maschinen durch Sensorintegration in die Spindeleinheiten ertüchtigen und damit z. B. in einer Tiefbohranwendung die Produktivität um den Faktor fünf steigern.“

Aus einer Mitte 2017 veröffentlichten Studie der TU Wien geht hervor, dass in Österreich etwa jeder zweite Betrieb keine gesamtheitliche Digitalisierungsstrategie hat. Das kann daran liegen, dass die Strategiefindung angesichts historisch gewachsener Produktionsmittel, dicker Mauern zwischen den betroffenen Fachabteilungen, voll ausgelasteter Kapazitäten und mangelnder fertigungsnaher IT-Expertise eine gewaltige Herausforderung darstellt. Da kann es hilfreich sein, auf die Früchte universitärer Forschung zurück zu greifen, die sich ohne drückende Produktionsziele ausschließlich den Produktionsprozessen und deren Verbesserung oder sogar Neudefinition sowie den dazu erforderlichen technischen Mitteln widmen kann.

Seit Oktober 2017 ist die Pilotfabrik Industrie 4.0 der TU Wien in der Seestadt Aspern in Betrieb.
Bild: TU Wien

Seit Oktober 2017 ist die Pilotfabrik Industrie 4.0 der TU Wien in der Seestadt Aspern in Betrieb. Bild: TU Wien

Prof. Franz Haas
Institutsvorstand Institut für Fertigungstechnik, TU Graz

„Die Detail-Lösungen für die Digitalisierung auszuwählen, zusammenzuführen sowie auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen, ist eine Aufgabe, bei der wir Fertigungstechnik-Institute die Unternehmen unterstützen oder sie ihnen ganz abnehmen können.“

TU-Power in Wien und Graz

„Auf allen Ebenen der Automatisierungspyramide – und im Sinne der smarten Produktion auch über deren Grenzen hinaus – treiben wir Grundlagenforschung, deren Ergebnisse wir mit Industriepartnern zur Anwendungsreife führen“, sagt Prof. Friedrich Bleicher, Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik an der TU Wien. „Nicht alles erwächst nur in der Kooperation mit Unternehmen, einige Innovationsthemen erwachsen aus unserem Fertigungstechniklabor und lassen daraus auch Produkte und Dienstleistungen von Spin-off-Unternehmen entstehen.“

„Unter dem Namen ‚Smart Production Graz‘ bündelt die TU Graz einen ganzen Strauß an Aktivitäten und Forschungsthemen für die smarte Produktion von morgen“, sagt Prof. Franz Haas, Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik der TU Graz. „Unsere aktuellen Forschungsschwerpunkte in der Zerspanung sind das drehzahlsynchrone Schleifen unrunder Werkstücke sowie die Ultraschall-unterstützte Bearbeitung.“

Große Projektvielfalt

Die Institute können zahlreiche Beispiele vorweisen für Projekte, mit denen sprunghafte Produktivitätsgewinne erzielt wurden. „Wir konnten Maschinen durch Sensorintegration in die Spindeleinheiten ertüchtigen und damit z. B. in einer Tiefbohranwendung die Produktivität um den Faktor fünf steigern“, berichtet Friedrich Bleicher. „Ausgehend von dieser Basis lässt sich der Kreis schließen, in dem viele der Daten auch für die automatische Überwachung und Feinsteuerung der Prozesse genutzt werden.“ Hier ist die Fähigkeit der akademischen Forscher wertvoll, aus der Flut von Daten wertvolle Informationen zu gewinnen.

„In einem gemeinsamen Projekt mit einem Werkzeughersteller integrieren wir einen Sensor-Chip direkt im Werkzeug, um vor allem die bislang noch schwer fassbare physikalische Größe Temperatur an der rotierenden Werkzeugschneide hochdynamisch zu messen“, berichtet Franz Haas. „Die Auswertung der so erfassten Daten gestattet die automatische Anpassung der Bearbeitungsparameter, z. B. auch die Optimierung des Kühlmitteleinsatzes, für die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung.“

Leitmotiv Anwendernutzen

Bei diesem Konzept reisen die Daten nicht in großer Menge zu Rechenzentren oder Clouds, sondern werden vor Ort in der Werkzeugaufnahme gesammelt und vorverarbeitet. So belastet kein starker Datenstrom die Leitungen und da nur wenige, nicht allgemein verständliche Daten nach außen kommuniziert werden, wird auch die Datensicherheit nicht gewährleistet. „Zudem kosten auch externe Datentechnik-Lösungen wie Cloud-Services Geld und reduzieren damit die Produktivität“, weiß Franz Haas.

„Entscheidend ist, ob sich eine Technologieinnovation auch rechnet. Wenn man durch eine neue Idee bzw. Technologie-Produkt keinen für die industrielle Anwendung erkennbaren wirtschaftlichen Vorteil ableiten kann, lohnt sich das Verfolgen eines auch noch so schönen Innovationsansatzes nicht“, schließt sich Friedrich Bleicher an.

Vernetzt Denken, überschaubar Implementieren

„Viele Projekte scheitern daran, dass Firmen verunsichert sind, weil technisch viel mehr möglich ist, als sich sinnvoll umsetzen lässt“, so Friedrich Bleicher. „Wichtig ist es, in der Umsetzung von Lösungen zur Digitalisierung der Prozesse und zu Technologieinnovationen strukturiert und zielorientiert vorzugehen. Wir stehen für interessierte Unternehmen gerne als erfahrener Partner zur Verfügung und begleiten vom Konzept bis hin zur Detaillösung.“ Damit ist selbstverständlich kein „Über-Engineeren“ gemeint. „Unabhängig von der Unternehmensgröße sollte man die Zieldefinition für die Unternehmensentwicklung teambasiert erarbeiten und festschreiben“, präzisiert der Leiter des bereits 1816 gegründeten Wiener Fertigungstechnik-Instituts. „Daraus lassen sich die Industrie 4.0-Mission, die Strategie und alle technischen Subziele ableiten und ein Marschplan generieren.“

„Kein Technologiehersteller kann allein eine sinnvolle Grundlage für die Digitalisierung bieten, das ist im Verbund verschiedener Detail-Lösungen möglich“, ergänzt Franz Haas. „Diese auszuwählen, aufgabenspezifisch zusammenzuführen sowie auf ihre Wirksamkeit und hinsichtlich unerwünschter Nebenwirkungen zu untersuchen, ist eine Aufgabe, bei der wir Unternehmen unterstützen oder sie ihnen ganz abnehmen können.“

Pilotfabriken in Wien und Graz

Diesem Zweck dienen nicht mehr nur die modern ausgestatteten Fertigungslabors der TUs. Wesentlich weiter reichen die Möglichkeiten der von den TUs gemeinsam mit Technologiepartnern betriebenen Industrie 4.0 Pilotfabriken. Diese bieten heimischen Unternehmen eine Infrastruktur für das Erforschen und Entwickeln neuer Produktionsmethoden und -verfahren für die Zukunft der Industrieproduktion außerhalb des regulären Produktionsbetriebes.

Die Pilotfabrik Industrie 4.0 der TU Wien in der Seestadt Aspern ist seit Oktober 2017 in Betrieb. Ebenfalls 2017 startete die CDP Center for Digital Production GmbH (www.acdp.at), ein Kompetenzzentrum für die digitale Produktion. Dort entwickeln die Forscher interdisziplinär Lösungen für die Digitalisierung zur Nutzung durch die Industrie.

In Graz begann Mitte 2017 der Aufbau der Forschungs- und Lernfabrik smartfactory@tugraz mit dem Ziel der interdisziplinären Forschung über die digitale Fertigung. Einer der Schwerpunkte liegt dabei auf der additiven und spanabhebenden Komplettbearbeitung einschließlich aller sonstigen für die Produktion eines Roboter-Achsgetriebes erforderlichen Bearbeitungsarten. Nicht nur dafür sollen agile und datensichere Fertigungskonzepte entwickelt werden, branchenoffen und mit besonderer Berücksichtigung der Erfordernisse von KMUs. Kognitive Produkte und Produktionssysteme der Zukunft sind die Forschungsthemen des neuen Kompetenzzentrums Pro2Future (www.pro2future.at), das an den Standorten Linz (JKU), Graz (TU Graz) und Steyr (Profactor) aktiv ist. Ein sehr gut mit dem Zentrum CDP in Wien abgestimmtes Forschungsprogramm ist derzeit in Umsetzung.

„Gerade für KMUs hätten die Institute für Fertigungstechnik an den TUs in Wien und Graz sehr viel zu bieten“, sind sich deren Vorstände einig. Die beiden Professoren verbindet auch die gemeinsame Arbeit in der Österreichischen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (Ö-WGP www.oewgp.at), die Friedrich Bleicher im Jahre 2013 gegründet hat. Mit diesem Jahr hat Franz Haas den Vorsitz in diesem Gremium übernommen und plant im Team eine Reihe von Aktivitäten für 2018.

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