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Globale Lieferketten als Schwachstelle

Eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Der Wahrheitsgehalt dieses viel zitierten Sprichworts zeigte sich auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise schmerzhaft deutlich. Denn aufgrund von vorübergehend errichteten Grenzsperren wurde plötzlich empfindlich gestört, was üblicherweise reibungslos funktioniert – die globalen Warenflüsse. Statt „just-in-time“ hieß es auf einmal vielfach nur mehr „Bitte warten“. Eine harte Lektion, die aber auch ihre guten Seiten hat: Denn jetzt stehen bei vielen Unternehmen europäische Zulieferer wieder deutlich höher im Kurs. Von Sandra Winter, x-technik

Der Maschinenbau bekam die Folgen der Corona-Pandemie mit voller Wucht zu spüren, wie der VDMA bei mehreren Befragungen seiner Mitgliedsfirmen herausfand: Lediglich fünf Prozent blieben bis dato von Beeinträchtigungen ihrer Betriebsabläufe verschont. Die Mehrheit der Unternehmen war also betroffen, nahezu die Hälfte davon gab sogar an, zumindest vorübergehend unter „gravierenden“ oder „merklichen“ Störungen entlang der Lieferketten gelitten zu haben. Insbesondere in Italien, Deutschland, China, Frankreich und in den USA schien zumindest eine Zeitlang nicht alles so zu laufen wie gewohnt. „Komponenten, die in Asien bestellt wurden, sind nicht in den hiesigen Werken angekommen. Teilweise fielen auch europäische Lieferanten aus. Das führte zu spürbaren Produktionsbelastungen und schlimmstenfalls sogar zu Stillständen“, kommentierte VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers Ende März die Situation.

In den letzten Wochen und Monaten zeigte sich, wie fragil die globalen Lieferketten sind und wie wichtig es ist, auch in Europa zuverlässige Zulieferer zu haben. Demzufolge gehen wir davon aus, dass es infolge der Corona-Krise wieder zu einer Stärkung der Produktionsstandorte in Europa kommen wird.
Dr. Ing. Stefan Hansch, CEO bei Emco

In den letzten Wochen und Monaten zeigte sich, wie fragil die globalen Lieferketten sind und wie wichtig es ist, auch in Europa zuverlässige Zulieferer zu haben. Demzufolge gehen wir davon aus, dass es infolge der Corona-Krise wieder zu einer Stärkung der Produktionsstandorte in Europa kommen wird. Dr. Ing. Stefan Hansch, CEO bei Emco

Stillstände durch unterbrochene Lieferketten

Eine Anfang/Mitte April vom Fachverband Metalltechnische Industrie (FMTI) der Wirtschaftskammer Österreich durchgeführte Umfrage ergab ebenfalls, dass rund die Hälfte (50,4 %) der Unternehmen mit unterbrochenen Lieferketten zu kämpfen hatte. „Das ist ein Problemfeld, dass es in der Form in den letzten Jahren nie gab“, sagt MMag. Martin Baminger, ein u. a. auf Statistiken und Konjunkturanalysen spezialisierter Mitarbeiter beim FMTI. Dass das Thema Supply Chain Management derzeit ein „sehr heißes“ ist, ließ sich auch bei der vom x-technik Fachverlag initiierten Untersuchung des Status quo in Industriebetrieben gut beobachten – wir erhielten nahezu von allen Befragten Rückmeldungen wie: „Wir werden unsere Lieferketten prüfen und gegebenenfalls anpassen“, „Wir sollten wieder mehr im Inland bestellen und vor allem systemrelevante Dinge unbedingt in Österreich bzw. in der EU herstellen lassen“, oder auch: „Ich hoffe auf eine Entschleunigung der Globalisierung.“

„Es muss nicht alles aus Fernost kommen“, brachte Wolfgang Nowotny, Inhaber der auf Individuallösungen für unterschiedlichste Industriebereiche spezialisierten Wolfgang Nowotny Sondermaschinenbau GmbH, kurz und knackig auf den Punkt, was mittlerweile viele denken. Denn nicht nur bei Medikamenten und Schutzausrüstungen zeigte sich im Zuge der Corona-Krise eine gefährliche Abhängigkeit von China. Eric Heymann, Analyst bei Deutsche Bank Research, geht demzufolge davon aus, dass Unternehmen ihre internationalen Wertschöpfungsketten nun vermehrt auch hinsichtlich ihrer Verletzlichkeit gegenüber externen Schocks überprüfen werden. „Es wird zu einem Abwägen zwischen dem Risiko einer dauerhaften Unterbrechung der Lieferketten auf der einen Seite und den Kosten für das Vorhalten von Ersatzkapazitäten oder für das Aufteilen der Produktion auf mehrere Standorte kommen“, mutmaßt er.

In einer globalisierten Welt sind die Verstrickungen und Abhängigkeiten der Akteure untereinander so groß, dass unabhängig von den in einem Unternehmen oder einem Land ergriffenen Maßnahmen, die Entwicklung in anderen Gebieten das Gesamtgeschehen in einem beachtlichen Ausmaß mitbeeinflusst.
Ing. Edip Bayizitlioglu, Chairman Wedco Tool Competence

In einer globalisierten Welt sind die Verstrickungen und Abhängigkeiten der Akteure untereinander so groß, dass unabhängig von den in einem Unternehmen oder einem Land ergriffenen Maßnahmen, die Entwicklung in anderen Gebieten das Gesamtgeschehen in einem beachtlichen Ausmaß mitbeeinflusst. Ing. Edip Bayizitlioglu, Chairman Wedco Tool Competence

Die Grenzschließungen in Europa erschweren das Geschäft für die Maschinenbauer immens und machen es in einigen Fällen sogar unmöglich. Deshalb muss die schnelle Grenzöffnung eine Top-Priorität in jeder Exit-Strategie sein. Ohne funktionierenden Binnenmarkt bekommen wir die Wirtschaft nicht wieder ins Laufen.
Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA (Bild Uwe Nölke/VDMA)

Die Grenzschließungen in Europa erschweren das Geschäft für die Maschinenbauer immens und machen es in einigen Fällen sogar unmöglich. Deshalb muss die schnelle Grenzöffnung eine Top-Priorität in jeder Exit-Strategie sein. Ohne funktionierenden Binnenmarkt bekommen wir die Wirtschaft nicht wieder ins Laufen. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA (Bild Uwe Nölke/VDMA)

Back to Europe

Zu lange und vernetzte Fertigungsketten, die – wie es Karl Wiefler, Geschäftsführer der GGW Gruber & Co GmbH, ausdrückte – „wenn ein Glied ausfällt, sofort zum kompletten Stillstand führen“ können, wie die jüngere Vergangenheit zeigte, schnell einmal zum Problem werden. Deshalb plädiere er für kürzere Fertigungsketten und größere Fertigungstiefen. „Wir sollten uns wieder vermehrt unserer Stärke, möglichst in unserer näheren Umgebung qualitativ hochwertige Produkte fertigen zu lassen, bedienen“, schlägt er für die Zukunft vor. Dass als Lehre aus der Corona-Krise ein Umdenken in diese Richtung stattfindet, hofft auch Richard Gierlinger, Geschäftsführer Hainbuch Österreich: „Man sollte nicht alles im fernen Ausland produzieren, nur weil es dort um ein paar Cent billiger ist. Vor allem bei wirklich relevanten Gütern wäre es wichtig, dass sie wieder vermehrt im Inland hergestellt werden würden“, meint er. „Künftig so wenig wie möglich aus Fernost bzw. aus Amerika zu importieren und stattdessen vermehrt bei einheimischen Lieferanten einzukaufen“, empfiehlt auch Werner Huber, Geschäftsführer und Inhaber von Huber-Tools. Die Firma Stiwa verfolgt an ihren Standorten seit jeher eine „Local-for-Local“-Strategie: „Wir produzieren dort, wo unsere Kunden und Märkte sind“, erklärt Ing. Mag. Peter Sticht, Geschäftsführer der Stiwa Holding. Die benötigten Rohstoffe werden ebenfalls möglichst ortsnah eingekauft.

„Wir alle haben in den letzten Wochen und Monaten erfahren, wie fragil die globalen Lieferketten sind und wie wichtig es ist, auch in Europa verlässliche Partner zu haben. Made in the Heart of Europe – ein Versprechen, das wir seit Jahren geben, bekommt nun ein neues Gewicht“, freut sich Emco-CEO Dr. Ing. Stefan Hansch, dass aufgrund der Erfahrungen in der jüngeren Vergangenheit bei vielen Unternehmen die Bereitschaft stieg, vermehrt über Lieferketten innerhalb Europas nachzudenken bzw. diese wieder zu reaktivieren.

Wir produzieren seit jeher dort, wo unsere Kunden und Märkte sind und beziehen auch unsere Rohstoffe möglichst lokal. Nichtsdestotrotz werden wir die Ausgestaltung von Lieferketten nach der Krise genauer unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls mit Verbesserungen bzw. Redundanzen reagieren.
Ing. Mag. Peter Sticht, Geschäftsführer der Stiwa Holding

Wir produzieren seit jeher dort, wo unsere Kunden und Märkte sind und beziehen auch unsere Rohstoffe möglichst lokal. Nichtsdestotrotz werden wir die Ausgestaltung von Lieferketten nach der Krise genauer unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls mit Verbesserungen bzw. Redundanzen reagieren. Ing. Mag. Peter Sticht, Geschäftsführer der Stiwa Holding

Wir sehen uns noch mehr dem heimischen Markt verpflichtet. Bei den Zulieferketten sollten wir uns sinnvollerweise wieder vermehrt auf regionale Anbieter konzentrieren.
Gerhard Melcher, Leitung Vertrieb Zerspanung und Marketing bei Boehlerit

Wir sehen uns noch mehr dem heimischen Markt verpflichtet. Bei den Zulieferketten sollten wir uns sinnvollerweise wieder vermehrt auf regionale Anbieter konzentrieren. Gerhard Melcher, Leitung Vertrieb Zerspanung und Marketing bei Boehlerit

Zeit zum Umdenken

Unsere Umfrage förderte aber nicht nur einen kleinen Einblick in den in unterschiedlichsten Industriebetrieben gelebten Umgang mit der Corona-Krise zutage, sondern auch jede Menge Kritik: u. a. am derzeit vorherrschenden Wirtschaftssystem – „Leistungs- und Qualitätsmerkmale müssen vergleichbar werden und Finanzgeschäfte dürfen nicht gewinnbringender als die Realwirtschaft sein!“, an den Entscheidungen der Regierung – „Es ist eine Schnapsidee, erforderliche Soforthilfen in Form von rückzahlbaren Krediten anzubieten“, „Wichtig wäre das Bereitstellen von Liquidität ohne formelle Hürden“, am scheinbar mancherorts angewandten Ausreden-Modus „Ich halte die vereinbarten Liefertermine nicht ein, da Kurzarbeit“, an der gängigen Preispolitik – „Der gnadenlose Preiskampf zugunsten weniger großer Konzerne gehört unterbunden, da sonst die Zulieferindustrie zerstört und vernichtet wird!“, sowie am Einkaufsverhalten von Key-Accounts und großen OEMs, die, wie es ein Teilnehmer unserer Umfrage ausdrückte, alles immer billiger und schneller wollen. Dabei müsse keineswegs alles innerhalb von 24 Stunden vor der eigenen Tür stehen. „Wir sollten aus dieser Krise lernen, dass Produkte entsprechende Wertigkeiten haben müssen“, hofft Günter Mühlbacher, Geschäftsführer der Moldtech Modell- und Formenbau GmbH, abschließend auf ein Umdenken in eine „wertschätzendere Richtung“. Die Chancen dafür stehen gut, schließlich haben wir laut Karlo Fink, Geschäftsführer der Karl Fink GmbH, in den letzten Wochen u. a. auch Folgendes „auf die harte Tour“ und demnach mit wahrscheinlich nachhaltiger Wirkung gelernt: „Dass nichts bleibt, wie es ist!“

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