Individualisierte Gewindeprozesse für Raumfahrt-Bauteile

Um den Anforderungen der Raumfahrt-Industrie im Bereich von Befestigungs- und Bewegungsgewinden gerecht zu werden, entwickelt Schumacher, in Österreich vertreten durch ARNO-Kofler, in enger Kooperation mit den Herstellern ein breites Geometriespektrum, das zwei wesentliche Bereiche berücksichtigt: die Fertigung eingeengter Toleranzlagen in hochlegierten Spezialstählen sowie eine detaillierte Aufarbeitung und Differenzierung der benötigten Geometrien nach konkreter Zerspanungssituation in der Fertigung des jeweiligen Herstellers von Raumfahrtteilen. Autor: Dr. Peter Schniering, Geschäftsfüher Schumacher Precision Tools GmbH

Für die mit Gewinden versehenden Bauteile von Satelliten bringen die thermischen und mechanischen Herausforderungen besondere Anforderungen an die Werkstoffauswahl mit sich.

Für die mit Gewinden versehenden Bauteile von Satelliten bringen die thermischen und mechanischen Herausforderungen besondere Anforderungen an die Werkstoffauswahl mit sich.

Wie Feuer im Flugzeug: Grat im Weltraum

Ein wesentliches Ziel bei allen Entwicklungsprojekten von Herstellern und Zulieferern der Raumfahrt-Industrie ist die Vermeidung der Gratbildung. Dies betrifft sowohl Gratbildung beim Eintritt im Anschnittsanfangsbereich der Bohrung, als auch mögliche Gratbildung in den Gewindeflanken sowie Restgrat im Bohrungsgrund beim Reversieren. Der Hintergrund liegt in der Bedrohung, welche schon kleine Gratstücke in der Schwerelosigkeit für die hochsensible Leistungselektronik von technischen Systemen im Weltraum ausmachen.

Es ist für Hersteller von Präzisionswerkzeugen durchaus üblich, dass mit ihren Werkzeugen sehr hochwertige Bauteile bearbeitet werden, deren Anforderungen im Bereich der Bewegungs- und Befestigungsgewinde nur mit Fertigungstoleranzen am Rande der technischen Machbarkeit zu erfüllen sind. So treffen Anwendungstechniker bei Gewinde-Anwendungen für den Motorsport, den Turbinenbau oder auch die Medizintechnik immer wieder auf neue Werkstoffe sowie extreme Anforderungen in puncto Maßhaltigkeit und Prozesssicherheit. Und doch sind die Anforderungen an Gewinde-Anwendungen in der Raumfahrt im Vergleich zu den terrestrischen High-End-Industrien in vielen Punkten grundlegend verschieden.

Durch einen geänderten Schnittwinkel sowie eine modifizierte Freiwinkel-Kombination kann Schumacher beim Gewinden mit aktuellen Werkzeugen eine möglichst gratfreie Spanbildung gewährleisten.

Durch einen geänderten Schnittwinkel sowie eine modifizierte Freiwinkel-Kombination kann Schumacher beim Gewinden mit aktuellen Werkzeugen eine möglichst gratfreie Spanbildung gewährleisten.

Transport als erste Herausforderung

Ein offensichtlicher, aber folgenreicher Grund ist der Einsatzort der verbauten Gewinde: Die Befestigungs- und Regelungsgewinde sind in ihren Umlaufbahnen bis zu 36.000 km von der Erdoberfläche entfernt und bewegen sich dort mit einer Geschwindigkeit von mehr als 11.000 km pro Stunde. Jegliche Option zur Nachbearbeitung oder Wartung fällt also aus. Das Gewinde muss funktionieren, will man den wirtschaftlichen Totalschaden des technischen Systems – etwa eines Satelliten – vermeiden.

Um diese Bauteile funktionsfähig in ihrer geostationären Umlaufbahn oder einem sogenannten low-earth-orbit (ab ca. 200 km Entfernung zur Erdoberfläche) in Betrieb zu nehmen, ist zunächst ein wesentliches Hindernis zu überwinden, das die in Raumkörpern verbauten Befestigungs- und Bewegungsgewinde starker Belastung aussetzt: der Transport mittels Trägerrakete. Beim Start dieser Raketen entstehen starke Vibrationen sowie eine g-Kraft (also ein Lastvielfaches) vom bis zu Zehnfachen der Erdanziehungskraft – die Auslegung der gefertigten Gewinde muss diese Belastung berücksichtigen.

Prozessbegleitung entlang der Wertschöpfung: Um das erwünschte Ziel zu erreichen, begleitet Schumacher den Zerspanungsprozess bei den Herstellern von Raumfahrt-Systemen sowie deren Zulieferern. Rechts im Bild der Autor  Dr. Peter Schniering.

Prozessbegleitung entlang der Wertschöpfung: Um das erwünschte Ziel zu erreichen, begleitet Schumacher den Zerspanungsprozess bei den Herstellern von Raumfahrt-Systemen sowie deren Zulieferern. Rechts im Bild der Autor Dr. Peter Schniering.

Werkstoffe und Geometrien

Neben den geschilderten mechanischen Belastungen werden Bauteile der Raumfahrt hohen thermischen Kräften ausgesetzt. Insbesondere in erdfernen Umlaufbahnen kommt es zu extremen Temperaturunterschieden zwischen der sonnenzugewandten und sonnenabgewandten Seite. Von der Solarstrahlung erreichte Komponenten erhitzen sich auf ca. 120° C, die sonnenabgewandten Komponenten kühlen zur gleichen Zeit auf -90° C ab. Dreht sich ein technisches System mit der Erde in geostationärer Bahn werden die Komponenten kontinuierlich erhitzt und wieder abgekühlt. Ist ein technisches System wie im Fall eines Nachrichten-Satelliten auf Jahrzehnte ausgelegt, führt die Temperaturschwankung zur Belastung aller Bauteile. Neben des äußeren thermischen Einflusses belastet eine interne Wärmequelle die technischen Komponenten zusätzlich: die Leistungselektronik in Raumfahrt-Bauteilen führt zu erheblichen Temperaturschwankungen.

Für die mit Gewinden versehenden Bauteile von Satelliten bringen die thermischen und mechanischen Herausforderungen besondere Anforderungen an die Werkstoffauswahl mit sich: je nach Funktion und Lage innerhalb eines technischen Systems werden im wesentlichen Hochleistungs-Aluminium-Varianten für den Leichtbau sowie Eisen-Nickel-Legierungen mit einem geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten verwendet. Für die im Bau dieser Komponenten erfolgende Gewindezerspanung bedeuten jedoch beide Werkstoffgruppen erschwerte Bedingungen.

Metallografische Untersuchungen belegten, dass auch in Werkstoffen mit hohem Siliziumgehalt eine ebene, glatte Gewindeflanke erzeugt werden kann.

Metallografische Untersuchungen belegten, dass auch in Werkstoffen mit hohem Siliziumgehalt eine ebene, glatte Gewindeflanke erzeugt werden kann.

Gewinde in Hochleistungs-Aluminium

Eine Lösung der Schumacher-Konstrukteure ist die Verwendung von Aluminium mit sehr hohem Silizium-Anteil (> 35 %). Um den Zerspanungsanforderungen von solchen Legierungen gerecht zu werden und die besonderen Voraussetzungen für Raumfahrt-Komponenten zu erfüllen, werden die sonst üblichen Standard-Geometrien der Gewindewerkzeuge für solche Werkstoffe vor Produktionsbeginn modifiziert. Projektbegleitend wurde das Schumacher F+E-Team von der Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe e. V. (FGW) in Remscheid unterstützt, welche in ihrer Abteilung VPA (Versuchs- und Prüfanstalt) über ein umfassendes Spektrum der Bauteil- und Werkstoffprüfung verfügt. Hierzu gehören insbesondere auch die Metallografie sowie Spektralanalysen.

Im Vergleich zu den herkömmlichen Geometrien für Hochleistungs-Aluminium gelingt es durch einen geänderten Schnittwinkel sowie eine modifizierte Freiwinkel-Kombination, eine möglichst gratfreie Spanbildung mit ebener, glatter Gewindeflanke auch bei hohem Silizium-Gehalt zu gewährleisten. Das für die Qualität der eingeengten Toleranz wesentliche Bild der Oberfläche wird so verbessert. Eine Besonderheit bei der Gewinde-Zerspanung ist, dass die Auslegung der Werkzeug-Geometrie je nach maschineller Grundlage des Raumfahrt-Herstellers stark voneinander abweicht. Sind die Einsatzbedingungen stärker manuell geprägt, modifiziert die Konstruktion die Werkzeuggeometrie nach folgendem Schema: die Härte der Werkzeugoberfläche (im CNC-Einsatz i.d.R. eine PVD-Hartstoffbeschichtung) wird über eine Beschichtung mit geringerem Vickers-Wert reduziert, der Reibungskoeffizient damit erhöht. Im Einsatz hat dies den Vorteil, dass axiales Verschneiden vermieden werden kann, die Oberfläche der Gewindeflanken bei entsprechend angepasster Geometrie aber dennoch die Ansprüche erfüllt. Zusätzlich wird für den konventionellen Einsatz die Anschnittlänge erhöht, die zu erfolgende Zerspanung damit also auf mehr Gewindegänge verteilt.

Gewinde in Spezial-Nickel-Legierungen

Bei der zweiten Gruppe von Legierungen, solchen die nahezu invariant gegenüber Temperaturveränderungen sind, bedeutet vor allem der sehr hohe Anteil des Legierungselements Nickel eine Herausforderung. Die Gewindebearbeitung in diesen abrasiven Spezialstählen bringt eine hohe mechanische Belastung der Schneidkanten sowie eine Verschlechterung der Flankenqualität bereits bei geringem Verschleiß des Gewindewerkzeugs mit sich. Um diesen Phänomenen entgegen zu wirken, wird die Geometrie der Werkzeuge angepasst.

Der Schnittwinkel wird leicht verändert, die Schneiden dann über eine reibungsresistente Multi-Layer-Beschichtung geschützt. Während sich dieses Verfahren im CNC-Segment als beste Lösung herausstellte, sieht die konventionelle Bearbeitung grundlegend anders aus. Ähnlich wie im Fall des Hochleistungs-Aluminiums wird über eine Beeinflussung der Oberflächenhärte des Werkzeugs und eine modifizierte Geometrie die Bearbeitung stabilisiert. Es wird so die erforderliche Oberflächengüte in den Gewindeflanken des Bauteils erreicht und die Prozesssicherheit bei der Bearbeitung erhöht. Als entscheidend für den Erfolg der Anwendung hat sich gerade bei den langspanenden Spezialstählen mit sehr hohen Nickelanteilen die Spankontrolle herausgestellt.

Größenvergleich Gewindebohrer (M6) zu Werkzeug für Raumfahrtanwendungen.

Größenvergleich Gewindebohrer (M6) zu Werkzeug für Raumfahrtanwendungen.

Eingeengte Fertigungstoleranz.

Eingeengte Fertigungstoleranz.

Gewinde in Raumfahrt-Anwendungen

Bei der Konstruktion der Gewindewerkzeuge muss eine ungewöhnlich hohe Vielfalt an galvanischen Veredelungsverfahren berücksichtigt werden. Viele der in Raumfahrt-Systemen verwendeten Komponenten werden einer Oberflächenbehandlung unterzogen, welche unter anderem dafür verantwortlich ist, dass bei der verbauten Hochfrequenztechnik der Strom auf den gold- und silberbeschichteten Oberflächen übertragen werden kann. Hierdurch muss jedoch bei den meisten Gewindeanwendungen die Toleranzlage entsprechend angepasst werden. So ist die Schichtdicke des in der Galvanik aufgebrachten Materials von der sog. Feldverteilung im elektrogalvanischen Prozess abhängig – und nach dieser im Nachhinein aufgebrachten Schicht hat sich die Toleranzlage des Gewindewerkzeugs genau zu richten.

Diese Zieltoleranzen für die eingebrachten Befestigungs- und Bewegungsgewinde werden durch die Schumacher-Konstrukteure wiederum in die für die Produktion der Werkzeuge entscheidende Fertigungstoleranz übertragen. In der Praxis bedeutet dies für die Betreuung der Kunden aus dem Raumfahrt-Segment eine außergewöhnlich hohe Anzahl von Sonder-Toleranzlagen. Je nach Durchmesser, galvanischem Verfahren und Anforderung wird die Toleranzlage des Gewindewerkzeugs definiert. Hierbei gelten in vielen Bereichen Fertigungstoleranzen, die bei einem Bruchteil der nominalen Toleranzen für handelsübliche Maschinengewindebohrer liegen. Schließlich steuern die in den Gewinden geführten Bolzen etwa bei Satelliten die Charakteristik des Sendesignals – und damit einen ganz wesentlichen Bestandteil der Funktionalität.

Prozessbegleitung entlang der Wertschöpfung

Alle vorgenannten Schritte führen jedoch nicht zum erwünschten Ziel, wenn der Zerspanungsprozess bei den Herstellern von Raumfahrt-Systemen sowie deren Zulieferern nicht begleitet wird. Hierzu zählt neben der Optimierung der Anwendungs-Peripherie (Spannmittel, Kühlschmierstoffe, Kernlochwerkzeuge) insbesondere die Feinjustierung der Schnittwerte sowie die Definition des Standzeitendes. Bei den hohen Anforderungen an Gratfreiheit und Prozesssicherheit kann es vorkommen, dass Werkzeuge des Prozesses – insbesondere auch im Bereich der zylindrischen Vorbohrung – ohne deutliche optische Verschleißmerkmale ausgetauscht werden müssen.

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