gastkommentar

MR-CM Plug & Produce: Zukunft der digitalen Transformation

Plug & Produce muss realisiert werden: Unter dem Begriff Industrie 4.0 sammeln sich Hoffnungen und Herausforderungen für Produktion, Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle der Zukunft. Nach der ursprünglichen Aufgabe, 2011 Fördergelder zu verteilen, steht der Begriff Industrie 4.0 jetzt vor der Herausforderung, die Digitale Transformation zu standardisieren und zu normen. Von DI (FH) Johann Hofmann, Maschinenfabrik Reinhausen

Ich postuliere, den Begriff Industrie 4.0 für die diskrete Fertigung als gescheitert zu betrachten, wenn es nicht gelingt, dort Plug & Produce zu realisieren.

Dipl.-Ing. (FH) Johann Hofmann, Founder & Venture Architect of ValueFacturing® bei der Maschinenfabrik Reinhausen

Ich postuliere, den Begriff Industrie 4.0 für die diskrete Fertigung als gescheitert zu betrachten, wenn es nicht gelingt, dort Plug & Produce zu realisieren. Dipl.-Ing. (FH) Johann Hofmann, Founder & Venture Architect of ValueFacturing® bei der Maschinenfabrik Reinhausen

Aufruf des Autors

Um unsere Werkzeugdatenbank bei der Maschinenfabrik Reinhausen schneller befüllen zu können, haben wir vor 15 Jahren begonnen, nur noch Werkzeuge von Lieferanten zu kaufen, die auch zusätzlich zum physischen Werkzeug eine DXF-Grafik mit ausgeliefert haben. Das gab damals einen Aufschrei in der Branche. Heute ist es für alle Werkzeuganbieter Usus ein 3D-Modul mitzuliefern. Man sollte deshalb beginnen, in Kaufverträgen für Maschinen eine Klausel zu integrieren, die 5 % vom Kaufpreis solange zurückhält bis eine Verwaltungsschale mitgeliefert bzw. nachgeliefert wird.

Ein allgemein in der Fertigung mit NC-Maschinen vorzufindendes Problem war bzw. ist es immer noch, dass die unterschiedlichen, an einem Fertigungsprozess beteiligten Aggregate (NC-Maschinen, Werkzeugeinstellgeräte, Lagersysteme etc.) proprietäre Datenformate verwenden und eine regelmäßige, aggregatübergreifende Bereitstellung der Prozessdaten sehr schwierig ist. Die Vernetzung eines historisch gewachsenen Maschinenparks ist ein Gefrickel und gleicht einem Häuserkampf, der pro Maschine gewonnen werden muss. Zusätzlich entstehen durch diesen babylonischen Sprachwirrwarr in einem beliebig gemischten Maschinenpark unerklärliche Seiteneffekte, die am Ort der Softwareentwicklung nicht reproduzierbar sind.

Mit Plug & Produce soll das Prinzip von Plug-and-play in die Fabrikhallen übertragen werden. Dadurch ließen sich CNC-Maschinen und Fertigungsanlagen einfach in Betrieb nehmen, da sie sich quasi selbstständig konfigurieren würden. (Bild: Atlantis / Adobe Stock, Maksym Yemelyanov / Adobe Stock, www.industrie40.net)

Mit Plug & Produce soll das Prinzip von Plug-and-play in die Fabrikhallen übertragen werden. Dadurch ließen sich CNC-Maschinen und Fertigungsanlagen einfach in Betrieb nehmen, da sie sich quasi selbstständig konfigurieren würden. (Bild: Atlantis / Adobe Stock, Maksym Yemelyanov / Adobe Stock, www.industrie40.net)

Begriffsdefinitionen

OPC UA steht für Open Platform Communications Unified Architecture und beinhaltet eine Sammlung von Spezifikationen, die die Kommunikation im Umfeld der Industrieautomation standardisiert. Ein neuartiger und vielversprechender deutscher OPC UA Lösungsansatz zur Maschinenvernetzung ist umati.
Assets sind vernetzungsfähige Dinge.
Verwaltungsschale ist die digitale Repräsentation eines physischen Assets.
I4.0-Komponenten sind Assets mit Verwaltungsschale.
MOM ist die Abkürzung für Manufacturing Operations Management und ist die Erweiterung eines MES in Richtung IoT.

Vision und Umsetzung

Als einfaches Erfolgsbeispiel kann die Druckerinstallation dienen. Sogar noch unter Windows XP (aber eher früher) war eine Druckerinstallation ein ähnliches Gefrickel. Ab Windows 10 konfiguriert sich ein neu angesteckter Drucker jedoch vollkommen selbstständig (Plug-and-play). Mit Plug & Produce soll dieses Prinzip in die Fabrikhallen übertragen werden, denn dadurch ließen sich CNC-Maschinen und Fertigungsanlagen ebenso einfach in Betrieb nehmen, da sie sich quasi selbstständig konfigurieren würden.

Damit die Vision Plug & Produce Wirklichkeit werden kann, müssen sich alle Hersteller von vernetzungsfähigen Produkten (Assets) auf folgendes einigen: OPC UA wird als Integrations-Framework zum Standard. Unter dieser Prämisse entstehen zeitnah einheitliche OPC UA Parametersätze, die die jeweiligen fachspezifischen Rahmenbedingungen abdecken. Bislang fehlt in der diskreten Fertigung jedoch noch das einheitliche Vokabular dieser „Weltsprache der Produktion“. Andere Branchen sind da bereits deutlich weiter. Zudem muss die Verwaltungsschale als zentraler Integrations-Stecker zum Standard und pro Asset mit ausgeliefert werden. Bislang fehlt hier jedoch die Bereitschaft vieler Hersteller.

Die Verwaltungsschale enthält alle relevanten Informationen über das Asset, einschließlich seiner zu nutzenden Funktionen und deren Aufruf über die I4.0-Kommunikation. (Bild: ZVEI)

Die Verwaltungsschale enthält alle relevanten Informationen über das Asset, einschließlich seiner zu nutzenden Funktionen und deren Aufruf über die I4.0-Kommunikation. (Bild: ZVEI)

Verwaltungsschale im Detail

Der Dreh- und Angelpunkt für Plug & Produce ist die Verwaltungsschale (VWS). Die VWS enthält alle relevanten Informationen über das Asset, einschließlich seiner zu nutzenden Funktionen und deren Aufruf über die I4.0-Kommunikation. Sie ist in einen Header und einen Body untergliedert. Der Body kann mehrere Teilmodelle beinhalten. Die Teilmodelle bestehen aus einem streng einheitlichen Formatbereich und aus einem variablen, Asset-spezifischen, Formatbereich. Ein Asset wird erst durch eine Unique Identification Number in seiner Verwaltungsschale einzigartig und damit zu einer Entität.

Durch die oben beschriebenen Rahmenbedingungen können sich MES zu MOM Systemen (Manufacturing Operations Management), sprich kognitiven Assistenzsystemen, weiterentwickeln und Plug & Produce nutzen. Dabei geht es u. a. auch darum, von Execution (Ausführung und Steuerung) zu Produktionsoptimierung durch Regelung zu kommen. Nur so kann es gelingen, die Produktion in den Hochlohnland-Regionen D/A/CH konkurrenzfähig und nachhaltig für die Zukunft auszurichten.

CIM steht für Computer Integrated Manufacturing.  In den 90er Jahren wurde unter diesem Begriff der Versuch gestartet, Computertechnik vollständig in die Fertigung zu integrieren. (Bild: Alisa / Adobe Stock)

CIM steht für Computer Integrated Manufacturing. In den 90er Jahren wurde unter diesem Begriff der Versuch gestartet, Computertechnik vollständig in die Fertigung zu integrieren. (Bild: Alisa / Adobe Stock)

Regelwerk für die Digitalisierung

Der Industrie 4.0-Plattform muss es gelingen, ein Regelwerk für die Digitalisierung zu erstellen, an das sich alle Asset-Hersteller halten. Ansonsten ist für mich der Begriff Industrie 4.0 gescheitert. Dann digitalisieren wir eben weiter wie bisher – mit dem üblichen Gefrickel. Wir nennen das dann aber bitte nicht mehr Industrie 4.0, sondern Gefrickel 4.0. Wir träumen dann auch nicht mehr von Plug & Produce, sondern leben weiterhin mit Plug & Pray.

Genau deswegen ist die Deutsche Normungsroadmap, Industrie 4.0/Version 4, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Siehe www.sci40.com/sci-4-0/normungsroadmap

Computer Integrated Manufacturing

CIM steht für Computer Integrated Manufacturing, zu Deutsch computerintegrierte Fertigung. In den 90er Jahren wurde unter diesem Begriff der Versuch gestartet, Computertechnik vollständig in die Fertigung zu integrieren. Dies war etwas zu optimistisch gedacht und musste mangels geeigneter Ressourcen (Hardware und Programmiersprachen) scheitern.

Von computerunterstützter Fertigung (Computer Aided Manufacturing / CAM) zu sprechen, wäre hingegen korrekt gewesen und wurde auch erreicht. Denn sobald nur ein Blatt Papier digital angezeigt oder ein Lochstreifen eingelesen wird, kann man mit Fug und Recht bereits von computerunterstützter Fertigung sprechen. Leider wurde und wird CAM falsch verwendet. Die NC-Programmiersysteme haben sich unberechtigterweise den Begriff CAM einverleibt, denn sie können die Anforderungen aller Manufacturing-Bereiche nicht erfüllen. Besser wäre es gewesen, als Begriff CAP (Computer Aided Programming) für die NC-Programmiersysteme zu verwenden, denn das können sie zweifelsfrei leisten. Der Begriff CAD wurde hingegen richtig gewählt, denn CAD steht für Computer Aided Design, zu Deutsch computerunterstütztes Konstruieren. Und das ist genau das, was CAD-Systeme ermöglichen: Sie unterstützen den Menschen beim Konstruieren.

Industrie 4.0 neu gedacht

Bei allen C-Begriffen steckte sowohl das Thema als auch bereits die Lösung im Namen. Der Begriff Industrie 4.0 bietet keinerlei Lösungsvorschläge an, sondern ist die Überschrift für die bereits in Teilen gelungene digitale Transformation. Einige der heutigen Ideen von Industrie 4.0 werden bzw. sind bereits umgesetzt, einige andere Ideen werden scheitern oder komplett neu gedacht werden müssen.

Viele Jahre habe ich deshalb folgende Meinung vertreten: Es wird nicht möglich sein, irgendwann Industrie 4.0 als gescheitert zu bezeichnen, denn Industrie 4.0 hat kein Lösungsversprechen im Namen integriert, sondern spricht von einer industriellen Revolution. Eine industrielle Revolution wird definiert als bedeutsame und dauerhafte Umgestaltung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse wie Arbeitsbedingungen und Lebensumstände – und das ist bereits in vollem Gange. Diese Meinung revidiere ich und postuliere, den Begriff Industrie 4.0 für die diskrete Fertigung als gescheitert zu betrachten, wenn es nicht gelingt, dort Plug & Produce zu realisieren.

www.industrie40.net

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