Am Zahn der Zeit

Additive Fertigung – Herausforderung und Chance für die Zerspanungstechnik: Additive Fertigungsverfahren, die bis vor wenigen Jahren nahezu ausschließlich im Bereich des Rapid Prototypings angewendet wurden, stehen heute an der Schwelle zu einer breiten Einführung in die industrielle Fertigung. Was viele immer noch vereinfacht 3D-Druck nennen, wird auch die Zerspanungstechnik nachhaltig verändern. Boehlerit, durch die enge Kooperation mit führenden Unternehmen der Stahlindustrie quasi am Zahn der Zeit, sieht darin große Herausforderungen, aber auch Chancen.

Die additive Produktion ist trotz all ihrer Vorteile nicht ohne Schwächen, speziell bei Bauteiltoleranzen und Oberflächenqualitäten. Eine Lösung besteht in hybriden Ansätzen, die additive Methoden und zerspanende Bearbeitungen kombinieren. (Bild: WFL)

Die additive Produktion ist trotz all ihrer Vorteile nicht ohne Schwächen, speziell bei Bauteiltoleranzen und Oberflächenqualitäten. Eine Lösung besteht in hybriden Ansätzen, die additive Methoden und zerspanende Bearbeitungen kombinieren. (Bild: WFL)

Dr. Ronald Weißenbacher
Leiter Forschung und Entwicklung bei Boehlerit

„Unsere Chancen als Hersteller für Werkzeugsysteme und Schneidstoffspezialisten sehen wir bei Boehlerit in der Beherrschbarkeit der künftigen Zerspanungsaufgaben, die mit neuen Werkstoffen auch neue Herausforderungen mit sich bringen.“

3D-Druck ist eine Technologie, die auf ein bereits 1983 entwickeltes Stereo-Lithografie-Gerät zurückgeht. Der Amerikaner Chuck Hull hat seinerzeit die erste brauchbare Maschine entwickelt, mit der man Werkstücke durch Hinzufügen von Material erstellen konnte. D.h., auf Basis von digitalen 3D-Konstruktionsdaten wird schichtweise Material zu komplexen Bauteilen aufgebaut. Der moderne Begriff additive (generative) Fertigung beschreibt jedoch besser, dass es sich hier um professionelle Produktionsverfahren handelt, welche sich deutlich von konventionellen, abtragenden (subtraktiven) Fertigungsmethoden wie etwa dem Herausfräsen eines Werkstücks aus einem festen Block unterscheidet.

In den letzten Jahren ist eine Vielzahl an Verfahren hinzugekommen, die sich sowohl in der Technologie wie Bauteile entstehen, als auch in den Materialien die verarbeitet werden können, unterscheiden. Dazu gehören Extrusionsverfahren, bei denen ein Kunststofffaden durch eine beheizte Düse aufgeschmolzen und geometrisch definiert aufbauend abgelegt wird. Die heute im Bereich des sogenannten Rapid Manufacturing vornehmlich verwendeten Verfahren sind pulverbasierte Prozesse, in denen pulverisiertes Ausgangsmaterial in einer dünnen Schicht auf die Arbeitsfläche aufgetragen wird. Beim anschließenden punktgenauen Aufschmelzen mit einem Laser wächst das aufgeschmolzene Material beim Wiedererstarren mit den darunter liegenden Strukturen und der direkten Nachbarschaft zusammen. Dieser Vorgang wird Schicht für Schicht mit frischem Pulver wiederholt. Das Laser-Verfahren funktioniert nicht nur mit Kunststoffen. Es lassen sich auch Metalle durch Laser-Strahlschmelzen verarbeiten. Bauteile, die so hergestellt werden, weisen so gute mechanische Eigenschaften auf, dass sie als Funktionsbauteil verwendet werden können.

Durch die Möglichkeit Funktionalitäten direkt im Bauteil zu integrieren, kann Montageaufwand eingespart werden und mehr Funktion auf kleinerem Raum untergebracht werden.

Durch die Möglichkeit Funktionalitäten direkt im Bauteil zu integrieren, kann Montageaufwand eingespart werden und mehr Funktion auf kleinerem Raum untergebracht werden.

Ungeahnte Designfreiheit

Das faszinierende der additiven Fertigungsverfahren ist, dass damit geometrisch komplexe Strukturen in bisher ungeahnter Designfreiheit herstellbar sind, die mit konventionellen Fertigungsverfahren nicht oder nur aufwendig realisiert werden können. Es sind keine speziellen Werkzeuge notwendig und konventionelle Restriktionen wie Hinterschnitte entfallen. Außerdem können Funktionen wie beispielsweise Leichtbaustrukturen bereits im additiven Fertigungsprozess in die Produkte integriert werden. Mit den Technologien der Additiven Fertigung scheinen der Herstellung von Bauteilen keine Grenzen mehr gesetzt. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund immer kürzerer Innovationszyklen und zunehmender Individualisierung von Produkten die in geringeren Losgrößen hergestellt werden, mithilfe der additiven Fertigungsmethoden die Produktentwicklungszeiten drastisch verkürzt werden und Produkte schneller am Markt sind.

Das faszinierende der additiven Fertigungsverfahren ist, dass damit geometrisch komplexe Strukturen in bisher ungeahnter Designfreiheit herstellbar sind, die mit konventionellen Fertigungsverfahren nicht oder nur aufwendig realisiert werden können. (Bild: Sintratec)

Das faszinierende der additiven Fertigungsverfahren ist, dass damit geometrisch komplexe Strukturen in bisher ungeahnter Designfreiheit herstellbar sind, die mit konventionellen Fertigungsverfahren nicht oder nur aufwendig realisiert werden können. (Bild: Sintratec)

Längst nicht mehr nur für Prototyping

Während bislang hauptsächlich Designstudien und Prototyping von additiven Fertigungsmethoden profitiert haben, etablieren sich diese Verfahren nach und nach in den unterschiedlichsten Bereichen der industriellen Fertigung. Diese reichen von der Herstellung von Spritzgießformen bis hin zum Turbinenrad und vom Greifer für die Automationstechnik bis zum Zahnimplantat oder zum Flugzeugstrukturteil. Selbst die Herstellung ausgereifter Funktionsteile und hochwertiger Massenteile des allgemeinen Maschinenbaus könnten künftig durch additive Fertigungsmethoden ergänzt, jedoch nicht ersetzt werden. „Indem man beispielsweise bei Geometrien, die aus einem Werkstück herausragen, auf überdimensionale Rohlinge verzichtet und stattdessen die klassische Bearbeitung mit additiven Fertigungsmethoden kombiniert, lassen sich Werkstoff- und Werkzeugkosten erheblich reduzieren“, erklärt Dr. Ronald Weißenbacher, Leiter Forschung und Entwicklung bei Boehlerit. Hoch spannende Ansätze bieten auch die Möglichkeiten unterschiedliche Materialien (Stähle, Kunststoffe, Keramiken) miteinander zu kombinieren.

Viele additiv gefertigte Teile müssen zerspanend nachbearbeitet werden. Boehlerit zählt vor allem auch bei der Bearbeitung schwer zerspanbarer Materialien wie Titanlegierungen, siliziumhaltige Aluminiumlegierungen oder Nickelbasiswerkstoffe wie sie auch beim selektiven Laserschmelzen (SLM) zum Einsatz kommen, zu den Pionieren. (Bild: SLM Solutions)

Viele additiv gefertigte Teile müssen zerspanend nachbearbeitet werden. Boehlerit zählt vor allem auch bei der Bearbeitung schwer zerspanbarer Materialien wie Titanlegierungen, siliziumhaltige Aluminiumlegierungen oder Nickelbasiswerkstoffe wie sie auch beim selektiven Laserschmelzen (SLM) zum Einsatz kommen, zu den Pionieren. (Bild: SLM Solutions)

Neue Freiheiten für Werkzeugsysteme

Die Schneidstoffspezialisten aus dem österreichischen Kapfenberg beschäftigen sich schon seit geraumer Zeit mit diesen modernen Fertigungsmethoden. „Zum einen geht es uns darum, additive Fertigungsmöglichkeiten für die Herstellung von Werkzeugen bzw. Werkzeugsystemen zu nutzen und zum anderen geeignete Schneidstoffe für die neuen Herausforderungen hinsichtlich der künftig verwendeten Werkstoffe und Werkstoffkombinationen anzubieten“, ergänzt Weißenbacher. Was die Nutzbarkeit additiver Fertigungsmethoden zur Herstellung von Hartmetallerzeugnissen, sprich Wendeschneidplatten betrifft, so gibt es laut Weißenbacher zumindest auf absehbare Zeit noch keine Alternative zu den hoch entwickelten, bei Boehlerit praktizierten Verfahren. Das sogenannte Laserschmelzen hingegen öffnet im Bereich der Werkzeuggrundkörper neue Möglichkeiten, um z. B. Kühlmittelkanäle frei zu gestalten bzw. konstruktive Freiheiten zu nutzen, um letztlich Werkzeuge als abgestimmte Gesamtsysteme vom Grundkörper über die Schneidstoffe und Beschichtungen weiter zu optimieren.

Die Stereolithografie, die als erstes additives Verfahren die generative Fertigung eingeleitet hat, wird auch heute noch für die Herstellung von Ansichtsmodellen, Prototypen und Urformen für den Vakuumguss verwendet. Auf der Basis von lichtaushärtenden Flüssigpolymeren können so extrem feine Strukturen mit sehr guter Oberflächenqualität erzeugt werden. (Bild: z-werkzeugbau)

Die Stereolithografie, die als erstes additives Verfahren die generative Fertigung eingeleitet hat, wird auch heute noch für die Herstellung von Ansichtsmodellen, Prototypen und Urformen für den Vakuumguss verwendet. Auf der Basis von lichtaushärtenden Flüssigpolymeren können so extrem feine Strukturen mit sehr guter Oberflächenqualität erzeugt werden. (Bild: z-werkzeugbau)

Hybride Lösungen

Über die Möglichkeiten im Bereich der Werkzeugherstellung hinaus, bringt der Einzug additiver Fertigungsmethoden in die industrielle Fertigung, generell für die Zerspanungstechnik betrachtet, neue Herausforderungen aber auch Chancen mit sich. „Die additive Produktion ist trotz all ihrer Vorteile nicht ohne Schwächen, speziell bei Genauigkeiten und Auflösungen, sprich Bauteiltoleranzen und Oberflächenqualitäten. Die Lösung besteht in hybriden Ansätzen, die additive Methoden und zerspanende Bearbeitungen kombinieren“, so Weißenbacher. Dies gilt immer auch dann, wenn sogenannte Supportgeometrien für Überhänge, Auskragungen oder besonders feine Strukturen wieder entfernt werden müssen. So wird die Additive Fertigung den bereits anhaltenden Trend, weg von der Schruppbearbeitung hin zum reinen Schlichtschnitt, weiter verstärken.

„Unsere Chancen als Hersteller für Werkzeugsysteme und Schneidstoffspezialisten sehen wir bei Boehlerit in der Beherrschbarkeit der künftigen Zerspanungsaufgaben, die mit neuen Werkstoffen auch neue Herausforderungen mit sich bringen“, unterstreicht Weißenbacher. Dazu gehört auch, Schneidstoffe bzw. Schneidkörper zu entwickeln, die beispielsweise bei Kompositbauteilen in unterschiedlichen Werkstoffen mit teils recht konträren Anforderungen funktionieren. Dass solche Aufgaben quasi am Zahn, respektive der Werkzeugschneide, zu lösen sind, zeigt die Praxis. In enger Zusammenarbeit mit führenden Unternehmen der Stahlindustrie, darunter in unmittelbarer Nachbarschaft mit Böhler Edelstahl, einem führenden Hersteller von pulvermetallurgischen Werkstoffen, entsteht bei Boehlerit das Know-how für die spanabhebende Bearbeitung neuster Werkstoffentwicklungen. So zählt Boehlerit vor allem auch bei der Bearbeitung schwer zerspanbarer Materialien wie Titanlegierungen, siliziumhaltige Aluminiumlegierungen oder Nickelbasiswerkstoffen wie sie auch beim selektiven Laserschmelzen (SLM) zum Einsatz kommen, zu den Pionieren.

Resümee

Wer sich mit den Möglichkeiten der Additiven Fertigung beschäftigt, gewinnt durch deren Einzug in die industrielle Fertigung zunächst den Eindruck, dass subtraktive Bearbeitungen ersetzt werden, sprich Zerspanungsvolumen abnehmen. Dies stimmt nur auf den ersten Blick und bedingt: Bauteile, die heute in ausgereifter Serienproduktion hergestellt werden, lassen sich nicht ersetzten, sondern bestenfalls ergänzen. Gleichzeitig entstehen neue, auf konventionellen Wegen nicht oder nicht wirtschaftlich herstellbare Funktionsteile aus innovativen Werkstoffen. Die Zerspanungstechnik wird also anspruchsvoller, vielfältiger und span(n)ender.

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